Ohne die Mönche des französischen Klosters Cluny, nahe dem heutigen Taize resp. Le Puy en-Velay, würde der Camino de Santiago wohl kaum den bekannten rasanten Aufschwung genommen haben.
Die Geschichtsschreibung spricht von riesigen Pilgerströmen auf der iberischen Halbinsel. Die Mönche des Klosters von Cluny gelten als die großen Förderer der Jakobswege – besonders gegen Ende des 11. Jahrhunderts durch ihre erfolgreichen Bemühungen um die Reconquista / Wiedereroberung und die Wiederbevölkerung des Landes. In der Hochzeit des Klosters im 11. und 12. Jahrhundert waren mehr als 1.200 Abteien mit geschätzten 20.000 Mönchen und Nonnen von Cluny abhängig; man mischte auch in der großen, europäischen Politik mit.
Cluny galt neben Rom als das geistige Zentrum jener Zeit. Mehrere Klostergründungen und Hospitäler wie in Najera, Burgos, Fromista, Carrion de los Condes, Sahagun, Astorga, Villafranca del Bierzo resp. San Juan de la Pena gehen auf Cluny zurück.
Cluny am Weg der Deutschen
Mittelalterliche Pilger aus Süddeutschland starteten gerne im elsässischen Thann – weiter in Richtung zu den wichtigen Pilgerorten Cluny oder Vezelay in Burgund. Der Weg zwischen Cluny und Le Puy-en-Velay wird deshalb nicht nur Burgunderweg genannt, sondern Weg der Deutschen; im Guide Orange als „Via Cluniciacensis“ bezeichnet.
Heute verbinden nicht wenige Pilger ihren Besuch in Taize, 10 km nördlich von Cluny gelegen, mit ihrer Pilgertour Richtung Le Puy, ggfs. weiter über St. Jean nach Santiago de Compostela. Taize ist bekanntgeworden vor allem durch seinen langjährigen und charismatischen Leiter Frere Roger, der die vielen Jugendlichen, die alljährlich den ökumenischen Ort Taize ansteuern, motivieren konnte zum gemeinsamen Gebet und Gesang, aber auch zum persönlichen Nachdenken auf der Suche nach Gott und dem Frieden auf der Welt. Man rätselt, ob er wirklich zum katholischen Glauben konvertiert ist.
Die Mönche von Cluny
Eminent wichtig für die Jakobusverehrung. Von unschätzbarer Bedeutung für den Camino de Santiago wie für das Mönchstum und seiner Reformbewegung 1, für Politik, Kunst und für das religiöse Leben seinerzeit mit Auswirkungen auf heute. Geliebt, respektiert, bewundert, gehaßt, zerstört, verwüstet. Wie in den französischen Religionskriegen (Hugenottenkriege) in den Jahren 1562 bis 1574 oder noch ärger während und nach der französischen Revolution von 1789. *) In 1790 wurde die Abtei geschlossen, in 1793 die Archive verbrannt, 1798 die Abteikirche an einen Händler verkauft, ab 1801 als Steinbruch für den Bau von Straßen und Häusern verwendet; schließlich in 1806 auf dem Gelände von Napoleon ein staatliches Gestüt etabliert. Erst später besann man sich, stellte 1862 das Klostergebäude und den Rest der Kirche unter Denkmalschutz. Heute soll sich dort eine Eliteschule eingerichtet haben.
*) Französische Revolution Mir ist völlig schleierhaft, dass es heute noch so viele Menschen gibt, die von der Französischen Revolution schwärmen. Sie ist an menschenverachtendem Tun, Grausamkeit und Schreckensherrschaft (massenhafte Morde durch den Einsatz der Guillotine) nicht zu überbieten. Die katholische Kirche sollte total vernichtet werden – und das unter Berücksichtigung der Maxime der Protagonisten-Jakobiner Maximilien de Robespierre, Georges Danton und Jean Paul Marat: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Die Genannten sind letztlich alle hingerichtet worden.
Architektur. Kultur. Eucharistie
Ad maiorem dei gloriam – Zur höheren Ehre Gottes
Bis zum Bau des Petersdoms in Rom 1506 war die Abteikirche drei Jahrhunderte lang die größte Kirche der westlichen Christenheit. Spitztonnengewölbe, aussagekräftige Kapitelle, hohe Türme, dreiteiliger Aufriß. „Cluny III“, 1130 als Mayor Ecclesia geweiht, bestach durch seine Harmonie, seine gigantische Größe (187 Meter lang, das 30 m hohe Hauptschiff war zwölf Meter breit), jetzt fünfschiffig, einem umgehbaren Chor, einem Kranz von sechs Kapellen. Ein „Wandelgang der Engel“, so wurde gesagt. Ich sehe die mittelalterlichen Besucher und Pilger vor mir voll von Verzückung und Staunen ob des Grandiosen zur Ehre Gottes.
Verständlich, dass der in Cluny präferierte Baustil, seine Architektur, exportiert wurde, wie die dort gepflegte Musik und die Malerei – eingebunden in den täglichen Eucharistiefeiern zeitgleich parallel in der Kathedrale wie in den Kapellen. Natürlich in der Sprache der katholischen Welt: Latein. Nicht nur in den Kirchen und Klöstern, nein auch in den weltlichen Universitäten wurde selbstverständlich lateinisch disputiert.
Gründung. Cluniazensische Reform
Cluny wurde 910 von Wilhelm I., Herzog von Aquitanien, und Graf Macon gegründet, urkundlich festgehalten am 11. September. Sie versicherten den Mönchen Exemtion (Sonderstellung) und Immunität, schlossen also jegliche weltliche Einmischung aus, verzichteten auf wirtschaftliche Erträge und überließen dem Papst den Schutz des Klosters. Lediglich der erste Abt Bernon wurde vom Herzog bestimmt; danach entschied der Konvent autark. Wie sein Nachfolger Abt Odo verschrieb sich Abt Bernon der cluniazensischen Reform 1 , der geistlichen Reform entsprechend den Vorstellungen des Ordensgründers Benedikt des 5./6. Jahrhunderts. Der moralische Niedergang der Kirche war geradezu körperlich greifbar. Das Lotterleben sollte ein Ende haben, die Regeln des hl. Benedikt wieder Beachtung finden, wieder täglich die Eucharistie feiern, die Frömmigkeit der Mönche fördern, dem irdisch Vergänglichen entsagen: „Bedenke, dass du sterben mußt.“
Für die zweite Kirche, die erste scheint zu klein gewesen zu sein, nahmen die Mönche die Bauten von Hirsau im Schwarzwald zum Vorbild und zwar von 954 bis 981. Den Bau der oben erwähnten Cluny III verantworteten die Äbte Hugo und Peter in der Zeit von 1080 bis 1130. Die Klosterkirche wurde auf unsagbare 187 Meter Länge ausgerichtet, sie hatte eine dreischiffige basilikale Vorhalle, ein fünfschiffiges Langhaus, zwei Querschiffe, den oben erwähnten Chor und acht Türme. Eine Mauer umgab die zu seiner Zeit größte Klosteranlage. 1258 endete die Selbstständigkeit der Mönche, nunmehr war sie der Obhut der französischen Könige anheimgestellt. Heute kann die Anlage in Teilen besichtigt werden.
Einschub. Wie sieht`s denn heute aus?
Hat sich viel verändert? Schon als Kardinal und Erzbischof von München-Freising erinnerte und mahnte Joseph Ratzinger den Klerus, als Papst Benedikt XVI. ganz deutlich in seiner Freiburger Rede 2011, dem Weltlichen nicht zuviel Bedeutung zu schenken, Bescheidenheit zu üben. Hat`s was gebracht? Nein. Viele Klöster “beeindrucken“ durch angeschlossene First-Class- und Wellness-Hotels, durch internationale weltliche Symposien, durch Management. Die Klöster, die nicht vergreisen, vielmehr auf junge Männer und Frauen eine enorme Anziehungskraft ausüben, sind diejenigen, die den traditionellen Katholizismus nicht außeracht lassen, (teils) die Messe aller Zeiten zelebrieren, fromm und bescheiden leben.
Cluny III und Cluny II
Cluny III. Um zu sehen, wie der Bau wohl hätte aussehen können, muß man sich nach Berze-la-Ville (10 km entfernt) begeben. Erhalten hat sich von der Priorats-Neugründung um 1100 eine Chapelle des Moines. Die Fresken an den Wänden des Chores und der Apis zählen zu den Hauptwerken europäischer Wandmalerei der Romanik. Über dem Altarraum thront Christus in der Mandorla inmitten der Apostel; zu sehen ist die Schlüsselübergabe an Petrus im Beisein von Diakonen, etc. In der Kleinstadt Parayle-Moniak (50 km entfernt) gibt es eine Taschenbuchausgabe zu bewundern, gemeint ist die Wallfahrtskirche Sacre Couer.
In der Westschweiz gibt es das Klon von Cluny II., in der Abtei von Romainmotier zwischen Genfer- und Neuenburger See.
Armenfürsorge
Heilige Messe für fremde Pilger. Die Mönche von Cluny beteten viel, gerne die Psalmen, führten das Totengedenken ein, den Allerseelentag, wie er auch heute noch begangen wird. Während der Ordensgründer Benedikt noch seinen Mönchen das tägliche Singen von 37 Psalmen pro Werktag vorgeschrieben hatte, kam der Clunianzenser auf ein Tagesprogramm von 215. Eine weitere Besonderheit: das oben beschriebene Totengedächtniswesen. War der Verstorbene einmal im Totenbuch eingetragen, war sichergestellt, dass für die Seele des Verstorbenen auf immer, ewig, gebetet wurde.
Sie kümmerten sich gleichermaßen um die Armenfürsorge. Viele der Armen lebten dauerhaft dort. In der „Messe der fremden Pilger“ wurden den Anwesenden die Füße gewaschen, getrocknet und geküßt; Nahrung, Wein, wie der Handkuß und genügend Geld für den Weg bis zum nächsten Kloster zählten dazu. Also: Nächstenliebe pur. Auch heute sollte sich jeder Jakobspilger gewiß sein können, problemlos im Kloster Unterschlupf zu finden.
Einfluss auf den Camino de Santiago
Die Äbte von Cluny übten auf Kaiser, Könige, Fürsten und Päpste großen Einfluß aus. Es entstand der Cluniazensische Verband, der letztlich aus rd. 1.200 Klöstern, Abteien, Prioraten mit 10-20.000 Mönchen bestehen sollte, dirigiert von Cluny. Untermauert von einem dreibändigen Regelwerk, der „Constitutiones Cluniacenses“ des hl. Ulrich von Zell der Jahre 1079 bis 1086. „Wo der Wind eintritt, tritt auch der Abt von Cluny ein“ – so ein Sprichwort, das die Bedeutung und Wichtigkeit der Mönche von Cluny dokumentiert.
Heutige Hardliner und Kritiker der spanischen Re-Conquista, des Camino de Santiago mit seinem Matamorus /Maurentöter, werden voll auf ihre Kosten kommen, wenn ich abschließend subsumiere, dass Cluny wegweisenden Einfluß ausübte – zum Wohle der Wallfahrten, zum Wohle der Pilgerschaft, zum Wohle der Re-Conquista von den moslemischen Mauren, zum Wohle der Re-Katholisierung weiter Gebiete Spaniens.
Ohne „Cluny“ wahrscheinlich keine Wiederbesiedelung, keine Klöster und Hospize am Jakobsweg in Najera, Burgo, Fromista, Carrion de los Condes, Sahagun, Astorga, Villafranca del Bierzo resp. San Juan de la Pena.
1 Reformbewegung. Der Terminus wird heute anders interpretiert im Sinne von Um- und Neugestaltung. Re-Form bedeutet aber an sich zurück-bilden, Wiederherstellung der ursprünglichen Form.
Fotos werden folgen.