„Weißt Du nicht, dass das Leben eine Reise ist? Du bist kein Bürger, sondern Wanderer bist Du und Reisender! Sage nicht: Ich habe diese oder jene Stadt! Niemand hat eine Stadt. Die Stadt ist oben. Die Gegenwart ist der Weg.“ – Johannes Chrysostomos. *)
Codice Calixtinus. Ausstellung Burg Ponferrada.
„Das Vorbild des Pilgers ist Jesus Christus von Nazareth, der Sohn Gottes. Als Pilger ging er durch die Welt, verkündete die Frohe Botschaft. Auch wir sind Pilger. Während wir diese Welt durchwandern, versuchen wir, dem Leben Jesu Christi zu folgen. Quelle: Geistlicher Begleiter. Pilgerschaft nach Santiago, Thema 10.
Der wahre Pilger teilt mit Anderen
Der wahre Pilger teilt mit den Armenund den bedürftigen Pilgern. Die das nicht tun, sind keine echten Pilger, sagt der Autor des Codex Calixinus aus dem 12. Jahrhundert.
Vier Wege führen nach Compostela
Vier Wege führen nach Compostela, die sich zu einem einzigen in Puente la Reina in Spanien vereinen. So beschreibt es der im 12. Jahrhundert lateinisch verfasste Pilgerführer Liber Sancti Jacobi, auch Codex Calixtinus genannt *2). Einerseits vereinigen sich die verschiedenen französischen Streckenabschnitte in Ostabat-Asme, ca. 20-25km Fusskilometer von St..Jean-Pied-de-Port entfernt, anderserseits werden die französischen Pyrenäen nach wie vor an zwei Stellen überquert. Entweder von Saint-Jean-Pied-de-Port kommend über den Ibañetapass oder weiter süd-östlich über den Somportpass ausgehend vom französischen Ste.-Marie-Oloron.
Der erste Weg, dessen 1. Etappe zumeist ins spanische Roncesvalles führt, heißt an sich Camino Real Francés; heute als Camino Francés bekannt – offensichtlich unter dem Einfluss der Franzosen.
Der zweite Weg, der Camino Aragonés, auch bekannt als Camino Italiano, da er von den Italienern bevorzugt wurde/wird, ist circa einhundert Kilometer länger und von höchstem kulturellen Interesse. Mit ihm beschäftige ich mich an anderer Stelle. Im Nachfolgenden werde ich den Camino Francés beschreiben.
*) Hl. Johannes von Antiochia (344 – 407). Im 6. Jahrhundert wurde ihm der Beiname Chrysostomos – „Goldmund“ – gegeben, weil einer der größten christlichen Prediger. Er zählt neben den heiligen Ambrosius, Augustinus und Hieronymus zu den vier großen Kirchenvätern, war Erzbischof von Konstantinopel. Quelle u.a.: Prof. Peter Schallenberg. Die Tagespost vom 13. August 2020. *2) Quelle: Der Jakobsweg. Ein Pilgerführer aus dem 12. Jh., Relkam 2008; übversetzt und kommentiert von Klaus Herbers.
Pilgerbüro St.-Jean-Pied-de-Port.
St. Jean ist der Ausgangspunkt des Camino de Santiago mit den ersten beiden Etappen über die Pyrenäen nach Roncesvalles. Gleich zu Beginn erwartet den Pilger *) eine anstrengende Strecke.
Dr. Höllhuber von DuMont charakterisiert sie als sehr schwer: 26 km bei 1.250 m Anstieg, avisierte Dauer: 8 Stunden.
Man sollte die Route Napoleon, so heißt dieser Abschnitt, nur bei gutem Wetter gehen.
Weise mir, Herr, Deinen Weg; ich will ihn gehen in Treue. Ps. 86,11
800 Kilometer. Start in St. Jean. Der Weg hat ein Ziel
Über achthundert, teils strapaziöse Kilometer liegen nun vor dem Pilger. Ist er sich dessen bewusst? Achthundert Kilometer reich an Historie, Geschichten und Heiligenlegenden. Von Navarra, durch La Rioja, via Burgos und León, den Provinzstädten von Kastilien-León, durch unendlich scheinende Getreidefelder der Meseta, der heißen spanischen Hochebene, durch das Land der Maragatos, über die Montes de León mit dem Cruz de Ferro, auf dem Camino duro, dem harten Weg, nach O Cebreiro, durch mittelalterlich anmutende, verarmte Bauerndörfer ins hügelige, grüne, bewaldete, häufig regnerische Galicien. Wieviel Etappen wird er einplanen? Ganz unterschiedlich. Zwischen dreizehn und vierzig.
In John Brierley`s Reiseführer aus 2003/2013 fand ich einen bemerkenswerten Gedanken. Ihm gefällt die Vorstellung, dreiunddreissig (33) Tage gepilgert zu haben: einen Tag für jedes Jahr, das Jesus Christus auf der Erde gelebt hat, also 33 Jahre.
Je weiter der Pilger Compostela entgegenschreitet, je mehr wird er auf freundliche Mitpilger treffen, die ihm gleichwohl möglicherweise einen Herbergsschlafplatz streitig machen werden. Nicht selten wird er schon um die Mittagszeit die ersten Rucksäcke vor den Herbergstüren abgestellt sehen. Dann wird er weiter gehen, im nächsten Ort ein Refugium suchen, gegebenenfalls ein günstiges Hostal ansteuern. In 2006 ließen sich 82.407 Pilger des Camino Frances (CF) in Santiago registrieren, in 2014 waren es schon 161.993. Tendenz steigend. Auch darüber wird er nachdenken (müssen). Nachtrag 2021: Camino Frances 2019: 189.937 von insgesamt 347.578 Pilgern. Neueste Zahlen vgl.Pilgerbüro. Aktuelles Datum
Den eigenen Weg gehen
Eine gute Zusammenfassung – irgendwo irgendwann aufgeschnappt, von mir ergänzt:
- Den eigenen Weg gehen. Welchen denn sonst?
- In sich hineinhören. Zeit genug ist dafür, warten, bis der Kairos kommt.
- Das Bedeutungslose abstreifen; sich von unnötigem Ballast trennen. Mental wir körperlich, Rucksack leeren.
- Sich vom Weg überraschen lassen. – Nicht alles – wie ein Tourist – vorplanen.
- Die Natur fühlen, sich geborgen fühlen zwischen Himmel und Erde.
- Mit sich und anderen achtsam umgehen. Den anderen helfen, Stichwort Caritas.
- Sich nicht dem Termindruck beugen. Spontan sich den Gegebenheiten anpassen.
- Das Gespräch mit dem Herrgott suchen. Geöffnete Kirchen und Kapellen gibt es zuhauf.
- Der Weg hat ein Ziel. Für den Peregrino autentico allemal das Grab des Jakobus.
*) Unter „Pilger“ sind selbstredend immer auch die Pilgerinnen gemeint.
Zeit zum Reflektieren
Jeder Pilger *1 ) beginnt seinen Jakobsweg mit seiner eigenen Lebensgeschichte. Viele Gedanken werden durch seinen Kopf schwirren, warum eigentlich das Ganze. Er wird seinen persönlichen Jakobsweg finden, irgendwo, irgendwann auf dem Weg, auf seine ganz eigene Weise, ungeachtet aller Imponderabilien des Camino. Er wird auf verständnisvolle und gläubige Christen stoßen, er wird aber auch kirchen-kritischen Menschen begegnen, die gleichwohl den christ-katholisch grundierten Jakobusweg gehen.
Am Ende wird er vor der Kathedrale von Santiago de Compostela stehen, stolz und dankbar für das Erreichte sein, anderen Pilgern, die einem irgendwann begegnet sind, oder die vor wenigen Augenblicken oft fremd waren, um den Hals fallen, mit Tränen in den Augen. Ja – so wird es sein.
Empfindungen des Pilgers
Der Einfluss des Jakobswegs auf Europa war und ist nach wie vor immens: auf Architektur und Bildhauerkunst, auf Literatur, Musik und Malerei, auf Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Wird ihn das überhaupt interessieren? Denkt er an den mittelalterlichen Pilger, der ein Gelübde zu erfüllen hatte, der den Jakobusweg als Bußgang betrachtete zwecks Tilgung seiner schweren Sünden? Oder wandert er nur aus Neugier und Abenteuerlust, der körperlichen Herausforderung wegen?
Mein Diktum: Bei allen Menschen, die den Jakobsweg gehen, schwingt etwas mit, was ihnen anfangs gewiss nicht in Gänze bewusst gewesen sein wird. Es ist das sich nach und nach bildende unbestimmte Gefühl einer Sehnsucht, dem Leben Sinn und Erfüllung zu geben. Der Pilgerweg symbolisiert das lebenslange Suchen des Menschen nach einem Lebensziel.
Eine TV-Dokumentation aus 2015/16, Wiederholung im Frühjahr 2018, hat die Empfindungen einiger Pilger ganz gut zusammengefasst, die mein Diktum in etwa widerspiegeln. So sagte ein französischer Pilger, er sei barfuß aus Demut gegenüber dem Außergewöhnlichen gegangen. Ein deutsches Ehepaar gab zu, sich zum Schluss des Camino ertappt zu haben, ein Vaterunser gebetet zu haben, obwohl ansonsten nicht sehr religiös. Eine Dritte, sie kam aus Holland, sprach vom Pfad zur inneren Einkehr. Für einen Anderen war die Kathedrale des Jakobus das eigentliche Ziel. Die Spannbreite der Empfindungen und Betrachtungen der Jakobspilger ist sehr groß.
Im Buch von Günter Fandel „Gemeinsam auf dem Jakobsweg“ las ich Sätze, die die Situation gleichermaßen gut beschreiben. Da wird ein ehemaliger Direktor einer großen Fabrik nach seinen Beweggründen befragt. Nein, er sei (natürlich) nicht religiös, um dann fortzufahren, er habe ein schönes und erfolgreiches Leben gehabt, wofür er danken wolle (wem denn?); er wolle mit dem Jakobsweg einmal im Leben etwas wirklich Großes leisten.
*1) Jose Antonio Gil Martinez from Vigo, Spain. *2) das hier verwandte generische Maskulinum umfaßt immer beide Geschlechter
Ankunft. Pilgern ist heilsam. – Back home
Jesus Christus begleitet die Emmausjünger; vgl. Lukasevangelium 24, 13-35. Foto gemeinfrei commons.wikimedia (11.09.24). Der Gang nach Emmaus. Fritz von Uhde, 1891. (1841-1911). Staatliche Kunstsammlungen Dresden.
Millionen Menschen sind vor uns den Camino gegangen, Millionen werden uns folgen. Warum? Pilgern ist heilsam. Pilgern verbindet. Pilgern hilft Spannungen abbauen. Pilgern öffnet den Menschen im Glauben.
Allen Pilgern gemeinsam ist die Ergriffenheit, wenn sie dann schlussendlich mit Tränen in den Augen vor der Kathedrale in Santiago de Compostela stehen, erfüllt vom Erlebten des Weges, ergriffen vom erreichten Ziel. Fremde Menschen liegen sich weinend in den Armen. Dankbarkeit strahlt aus den Gesichtern. Mit einem Male ist alle Mühsal vergessen, das stundenlange Gehen, das Drücken des Rucksacks, die Schmerzen, die Fußblasen, die Hitze, der peitschende Regen, die Berge, das Geröll, das „sinnlose“ Dahintrotten, die Gedanken über den vorzeitigen Abbruch, das Schnarchen der Mitpilger, der „Kampf“ um einen Herbergsschlafplatz, das laute Geschnatter auf dem Weg. Der Weg hat so viel gefordert – so viel gegeben.
Jetzt, nach der Pilgermesse in der Kathedrale, zählt in der Gesamtschau nur noch die Zufriedenheit über das Erreichte. Der Jakobsweg ist besonders, auf keinem anderen Wanderweg sind diese Emotionen spürbar, nirgendwo spüren die Menschen, was der Camino de Santiago an ihnen als Pilger bewirkt.
Rückkehr zu Hause
Das auf dem Camino erlebte Wir-Gefühl wird der Pilger mit nach Hause nehmen. Die vielen Wir-Erlebnisse, für viele zuvor völlig undenkbar, wird er back home in seine neue Lebensplanung einfließen lassen: für ein bewußteres Leben mit engagierten, neuen Zielen. Hoffentlich sich nicht wieder vom gewohnten Trott einfangen lassen.
Papst Benedikt XVI. hat es auf seiner Santiago-Reise am 6. November 2010 wie folgt treffend beschrieben:
- „Diese Begegung kann die Pilger nicht unberührt lassen. Die Pilger werden in ihre Heimat zurückkehren, wie die Jünger von Emmaus (Verf.: Evangelium nach Lukas 24, 13-35) nach Jerusalem zurückgekehrt sind.“
Und weiter gleichsam als Rubrum jeder persönlichen Pilgerwanderung:
- „Wer nach Santiago pilgert, kann der der gleiche bleiben!“
Teilstrecken des Camino Frances
Nicht jeder wird in St. Jean in den Pyrenäen starten wollen. Ich werde noch detailliert über die möglichen Teilstrecken uns Highlights des Camino Frances *) informieren: von St. Jean durch die Regionen von Navarra, La Rioja, Kastilien-Leon und Galicien bis nach Santiago de Compostela. *) Allgemein durchgesetzt hat sich der Begriff Camino Frances, obschon dieser an sich erst in Obanos /Puente la Reina beginnt, wo der Navarrische Weg von St. Jean und der Aragonesische Weg vom Somportpass zusammenlaufen.
- Navarra: St. Jean. Huntto. Roncesvalles. Rolandsage. Espinal. Zubiri. Larrasoana. Pamplona. Zariquigui. Uterga. Puerto del Perdon. Puente la Obanos. Puente la Reina. Lorca. Maneru. Cirauqui. Lorca. Villatuerta. Estella. Villamayor de Monjardin. Los Arcos. Torres del Rio. Viana.
- La Rioja: Logrono. Abstecher Clavijo. Navarrete. Najera. Azofra. Ciruena. Santo Domingo de la Calzada. Granon. Redecilla del Camino.
- Kastilien-Leon: Villamayor. Belorado. Tosantos. Villafranca del Montes de Oca. San Juan de Ortega. Atapuerca. Abstecher San Millan de la Cogolla. Calahorra. Burgos. Kathedrale. Las Huelgas. Miraflores. Rabe de las Calzadas. Hornillos del Camino. Meseta (Tierra de Campos). Hontanas. San Anton. Castrojeriz. Adobe-Bauweise. Itero de la Vega. Boadilla del Camino. Fromista. Villacazar de Sirga. Carrion de los Condes. Calzadilla de la Cueza. Ledigos. Terradillos de los Templarius. Sahagun. Reliegos. Bercianos de Real Camino. El Burgo Ranero. Mansilla de las Mulas. Puente de Villarente. Leon. Kathedrale. San Isidoro. Panteon. Umweg San Salvador. Oviedo. Villar de Mazarife. Hospital de Orbigo. Astorga. Bischofspalast. Kathedrale. Santa Catalina de Somoza. Rabanal del Camino. Cruz de Ferro. Foncebadon. El Acebo. Riege de Ambros. Molinaseca. Ponferrada. Cacabelos. Villafranca del Bierzo. Camino duro. Trabadelo. Vega de Valcarce. La Faba. Laguna de Castilla.
- Galicien: O Cebreiro. Alto de Poio. Triacastela. Corredoiras. 100km-Stein. Sarria. Barbadelo. Portomarin. Ligonde. Airexe. Palas de Rei. San Xulian. Melide. Arzua. Santa Irene. Pedrouzo. Monto de Gozo.
- Das Ziel: Santiago den Compostela. Ankunft. Rückblick Mittelalter.
- Der Weg zum Kap Finisterre: Negreira. Vilaserio. Santa Marina. Olveiro. Cee. Corcubion. Fisterra. Kap Finisterre. Abzweig zur Kirche.