Französische Internetplattform Paix Liturgique, 2023 analysiert die traditionelle Liturgie.
Mehr als man uns glauben machen will, mehr als wir selbst annehmen. 20% bis 25% der Gläubigen äußerten nach einer Erhebung französischer Autoren den Wunsch, ihren katholischen Glauben im Rhythmus der traditionellen Liturgie praktizieren zu können. Ein besorgniserregendes Ergebnis. Dazu später mehr.
Angefangen hat alles es mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil 1962/65 und der sich daraus entwickelnden Liturgiereform, die die Kirche spaltete, was niemand wahr haben wollte. Die Protagonisten des Konzils draußen in den Diözesen, Priester, Pfarrer, Bischöfe, Ordensleute, gaukelten ihren Gläubigen vor, dass alle Ergebnisse gut, von allen akzeptiert, wenn nicht sogar mit Begeisterung begrüßt worden seien. Christian Marquant von Paix liturgique *) führt weiter aus, dass gleichwohl viele einfache Katholiken anders gedacht hätten, sich aber ob ihrer persönlichen Entscheidung einsam fühlten, sich nicht äußerten mochten; man sie Die Stillen. Konkrete Hinweise belegten dies. Allein der von den Anhängern des Konzils benutzte Terminus, wonach die Reformen „aus dem Geist des Konzils“ geboren worden seien, stieß viele ab. Seit fast fünfzig Jahren wüsste man, dass mindestens ein Viertel der französischen Katholiken nichts mit den Umwälzungen in der Kirche Mitte der 60er Jahre hat anfangen können. Folge: innere Migration; man zog sich von seinen Gemeinden und Diözesen zurück, ohne seinen Glauben zu verlieren. Gut zu sehen am Zusammenbruch der Sonntagspraxis und der daraus resultierenden geringeren Spendenbereitschaft. Widerspenstige Gemeindemitglieder, also diejenigen, die nicht alle sogenannten Reformen des Konzils gutheißen wollten, seien aus den Gemeinden vertrieben worden; Pfarreien hätten ab 1965 geradezu eine Hexenjagd veranstaltet. Eine schreckliche Geschichte, die aufgearbeitet werden müsse.
Die Katholiken, die nicht am „Neuen Pfingsten“ der Kirche teilnehmen wollten, wurden infolge einfach ignoriert, als gäbe es sie überhaupt nicht. Das war der erste Fehler der Konzils-Kleriker und – Laien: die treuen Gläubigen verachten, sie dann schlichtweg nicht zur Kenntnis nehmen. (Zwischenbemerkung: Was dieses Verhalten mit gelebter und von Jesus vorgelebter christlicher Nächstliebe zu tun, bleibt schleierhaft. )Als dann jedoch Erzbischof Marcel Lefebvre (Gründer der Piusbruderschaft, benannt nach dem heiligen Papst Pius X., gestorben 1914) 1976 das Podium betrat, das Priesterseminar in Econe gründete, begingen die Modernisten den zweiten fatalen Fehler. Indem sie den Erzbischof angriffen, verhöhnten und verspotteten, verschafften sie ihm und seinen Mitbrüdern und -streitern eine enorme Publicity – weltweit. Er mutierte zum Sprecher der oben benannten stillen Gläubigen, die nun entdeckten, dass sie sich doch nicht so allein sind. Der Erzbischof ließ sich nicht beirren, nicht von der gesamten katholischen Presse, nicht von den Leitmedien, nicht vom Vatikan, der ihm untersagt hatte, Sakramente zu spenden. Er zog sein „Ding“ durch, sicherlich bestärkt durch eine Umfrage des gleichen Jahres, in Auftrag gegeben von der säkularen Tageszeitung Le Progres aus Lyon; für die Modernisten und Konzilsanhänger mit schockierenden Ergebnissen..
UMFRAGEERGEBNISSE 1976
1. 48 % der praktizierenden Katholiken glaubten, dass die Kirche bei ihren Reformen zu weit gegangen sei;
2. 42 % der Katholiken waren der Meinung, dass die Reformen dazu führten, dass sich die Kirche von ihrer ursprünglichen Lehre distanzierte;
3. 26 % der praktizierenden Katholiken stimmten den Standpunkten von Bischof Lefebvre hinsichtlich der Umsetzung der Konzilsbeschlüsse zu;
4. 52 % der praktizierenden Katholiken äußerten, sie seien „besorgt“ über die Situation der Kirche.
Zehn Jahre nach dem Konzil dieses für die offizielle Kirche schmachvolle, niederschmetternde Ergebnis – das musste wehtun. Resultat: man machte trotzig weiter. Das riesige mediale und psychologische Bombardement, das die ganze Welt glauben machen wollte, dass in der katholischen Welt alles perfekt und fröhlich sei, fruchtete aber nicht in Gänze. Eine echte Offenbarung des Ausmaßes der Malaise innerhalb der katholischen Kirche. Mindestens die Hälfte des christlichen Volkes „folgte nicht“.
Man ignorierte, dass ein nennenswerter Teil der praktizierenden Katholiken ausdrücklich die Positionen von Erzbischof Lefebvre unterstützte, wollte es nicht wahrhaben. Im hier zitierten Interview fielen harsche die Worte wie Manipulationen, Lügen, Betrügereien, die letztlich nicht aber verhindern konnten, dass in den 70zier Jahren ein großer Einbruch bei den Gläubigen, den Seminaristen und den Priesterweihen zu konstatieren war. Für Menschen guten Willens eine schreckliche Enthüllung, wobei, und da ich schließe ich mich ein, diese Entwicklung von der Mehrheit der Gläubigen zunächst gar nicht bewusst wahrgenommen wurde; es war ja ein über einige Jahre hinweg schleichender Prozess.
Dazu das Meinungsforschungsinstitut Allensbach (Quelle u.a.: UNA VOCE. 1 Quartal 2019. Steffen Wiegand) DER PLÖTZLICHE VERFALL BEGANN 1968 NACH DEM KONZIL
- 1968 markiert den Beginn der Phase der katastrophalen Schwächung der katholischen Kirche;
- 1973 praktisch Endpunkt dieser Entwicklung:
- in dieser unglaublich kurzen Spanne, in nur fünf Jahren, bricht ein großer Teil der aktiv Praktizierenden einfach weg.
- Der „Links“-Katholizismus breitet sich aus.
- Priester tragen in der Öffentlichkeit fortan Freizeitkleidung, keinen Priesterkragen (Collare) mehr; geben sich als Geistliche nicht mehr zu erkennen.
Und denjenigen, die Fragen stellten, ungefähr ein Viertel der praktizierenden Katholiken, entgegnete die französische Bischofskonferenz mit der Strategie des leugnenden Schweigens, schlichtweg mit Realitätsverweigerung. Die Situation änderte sich, als Erzbischof Lefebvre entgegen den Anweisungen des Vatikan für seine Nachfolge sorgte, indem er (Weih-) Bischöfe weihte. Papst Johannes Paul II. reagierte mit seinem Moto Proprio Ecclesia Dei, schuf die gleichnamige Kommission, in welcher unter anderem traditionelle religiöse und priesterliche Gemeinschaften aufgenommen wurden, die sich dem Vatikan trotz ihrer traditionalistischen Grundhaltung unterstellen wollten, zum Beispiel die Petrusbruderschaft. Fortan konnten die Bischöfe ihr leugnendes Schweigen nicht mehr aufrechterhalten, die betreffenden Priester und Gemeinden waren zu integrieren, häufig genug ungelegen.
Der Klerus gab aber nicht auf, versuchte die Zahl der Traditionalisten zu minimalisieren, sie als völlig unbedeutend erscheinen zu lassen. Es führte zu weit, das dafür angewandte Berechnungssystem genauer zu erläutern. Fakt ist resp. war, die französische Bischofskonferenz, zuvörderst Bischof Michel Moutel von Nevers, kam – bei großzügiger Schätzung – auf lediglich 50. – 60.000 Traditionalisten. Ein Witz. Allein deshalb, da man wohlweislich die sogenannten „Lefebvrianer“ – die Anhänger der Piusbruderschaft – bei der Berechnung außen vorgelassen hat. Weitere Erhebungen belegen, dass 90% der traditionalistisch orientierten Katholiken gerne an der traditionalistischen Liturgie in ihrer Pfarrei teilnähmen, mangels Möglichkeit aber nicht könnten, weil nur in 10% der Diözesangemeinden ein Angebot bereitgestellt werde; die Pfarrer weigerten sich. So gerechnet müßte die Zahl der Traditionalisten zunächst einmal auf mindestens 600.000 erhöht werden. Auch „demonstrierten“ die vielen jungen Teilnehmer der alljährlichen Chartres-Wallfahrt, dass sie den „usus antiquior“ lieben, die Missa Tridentina, die Messe aller Zeiten; was den Altvorderen überhaupt nicht einleuchten wollte.
Das von Papst Benedikt XVI. in 2007 promulgierte Motu Proprio Summorum Pontificum änderte den Sachverhalt total. Die Zahl der Traditionalisten nahm entscheidend zu. Dazu passe, einem Bonmot gleich, die Wiedergabe eines humorvollen und zugleich ernsten Gespräches mit einem Priester einer Großstadt, der für einen bestimmten Anlass eine traditionelle Messe in seiner Pfarrei zugelassen hatte: „Wie schade, Pater, dass es in Ihrer Pfarrei nicht jeden Sonntag eine solche Messe gibt – Unmöglich, mein guter Herr, nach Ablauf von drei Wochen, die Kirche wäre überfüllt und ich würde vom Bistum versetzt werden.“
Zurück zu den mehr als zwanzig Umfragen der Jahre zwischen 2001 und 2021. Danach betrachteten sich 57% aller Franzosen als noch katholisch. Immerhin: eine erkleckliche Zahl von mehr als 38 Millionen Menschen bei einer Gesamtbevölkerung von 68 Millionen Franzosen; die Zahl der praktizierenden französischen Katholiken sei allerdings entscheidend niedriger.
UMFRAGEERGEBNISSE 2001 bis 2021
1. 25 bis 35 % der praktizierenden Katholiken antworten, dass sie gerne jeden Sonn- und Feiertag zu einer traditionellen Messe gehen würden, wenn diese in ihrer Pfarrei gefeiert würde;
2. 75 % der praktizierenden Gläubigen finden es normal, dass diejenigen, die dies wünschen, dies tun können.
Offensichtlich fürchte der französische Klerus die Stimme des gläubigen Volkes, höre nicht auf es, setze im Gegenteil seine (ideologische) Agenda mehr oder weniger diktatorisch durch, wohlwissend, dass die Gläubigen des 21. Jahrhunderts nach wie vor ungefähr so dächten wie ihre Vorgänger nach Konzilsende. Viele hätte weiland ihren Gemeinden den Rücken zugekehrt, weil sie mit ihren Pfarrern nicht mehr einverstanden gewesen seien. Andere blieben höchst unzufrieden, hätten gerne den usus antiquior (Missa Tridentina) gefeiert, mussten hingegen an schalen Katechesen und geschmacklosen Liturgien nach dem neuen Ritus leiden. Immerhin: sie seien geblieben, warten auf die Messe aller Zeiten.
Prinzipiell könnte dieses Zahlenwerk auf die gleichermaßen befragten zehn Länder Europas ausgedehnt werden, nämlich Italien, Spanien, Deutschland, Polen, Schweiz, Großbritannien, Portugal, etc.; darüber hinaus für die Vereinigten Staaten, Brasilien, Korea und sogar für Angola. Immer sei der gleiche Wunsch von 20 bis 25 % der Gläubigen geäußert worden, nämlich ihren katholischen Glauben im Rhythmus der traditionellen Liturgie leben zu können, zu dürfen. Wie kommen solche Zahlen zustanden? Ganz einfach. Die Welt sei ein Dorf geworden, ein Internetdorf. Überall auf der Welt wüssten vor allem junge Leute, dass es die Lateinische Messe gäbe und dass sie viel besser sei als die bisher üblichen von ihnen besuchten Sonntagsgottesdienste, so wie eine Kathedrale halt viel besser sei als ein Schuppen.
In 10 Jahren, von 2007 bis 2017, habe sich die Zahl der traditionellen Sonntagsmessen weltweit verdoppelt. Für die Protagonisten des Interviews beredt zu sehen, wie das christliche Volk gläubig in der Messe nieder kniet, die ein wahres Opfer ist, in dem es sakramental auf dem Altar bei jeder Messe das Opfer unseres Gottes und Herrn erneuere, der sich für die Vergebung unserer Sünden auf Golgatha aufopfere.
Im weiteren Verlauf gehen die Protagonisten des Interviews auf Papst Franziskus und sein Motu Proprio Traditionis custodes vom 16. Juli 2021, mit welchem er seinen Versuch startete, die Anhänger des überlieferten Ritus ins Abseits zu stellen. Dabei konterkarierte er seinen Vorgänger Benedikt XVI., der noch in 2007 diesen Ritus zu neuer Blüte verhalft; dessen Motu Proprio, als ein Akt des Friedens innerhalb der Kirche zu verstehen, nannte er Summorum pontificum. Franziskus kümmert es offenbar wenig, wenn maßgebliche Kreise ihn mit einem Schisma der Kirche in Verbindung bringen; schade, an sich sollte doch jeder Heilige Vater als Sachwalter Jesu Christi ein Pontifex maximus sein, ein Brückenbauer über alle kirchlichen und Papst-treuen Gruppierungen hinweg.
130 Mio. traditionelle Gläubige. Zum Schluss die Antwort, die wahrscheinlich die wenigsten sich haben vorstellen können: es sind weltweit 130 Millionen Gläubige, die sich der traditionellen Liturgie verbunden fühlen; Ergebnis der Bestandsaufnahme des Jahres 2019. Es sind nicht weniger als 10% der Katholiken. 2/3 der anderen Katholiken sind weltweit bereit, diesen Fakt als für sie unproblematisch zu beurteilen.
Fotos: Catedral de Santa Maria la Real in Pamplona (Spanien). Chiesa di San Bernadino da Siena Udine (Italien). Bitte anklicken: Meßplan inklusive.
Christian Marquant endet mit dem Aufruf „… unser Dhimmitum*) muss enden. Lasst uns keine Angst haben! Wir sind kein kleiner Überrest oder eine Gruppe einiger weniger Agitatoren, sondern der sichtbare Teil eines riesigen Volkes: Die traditionellen Katholiken in Frankreich zählen Millionen, auch wenn viele heute nicht nur nicht praktizieren können, sondern oft nicht einmal die Beerdigung erhalten können, die sie sich wünschen. – Letztlich fordern wir wenig: Wir fordern lediglich die Freiheit, in der katholischen Kirche katholisch zu sein.“
*) Der Begriff Dhimmitum ist die Zusammenziehung der Wörter Dhimmi (aus dem Arabischen für Schutzbefohlener) und Sklaventum.
*) Quelle: Paix Liturgique, 2023 Die traditionelle Liturgie. Interview zwischen Louis Renau