Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruches: Radikale Weltlichkeit. Abschaffung Gottes. Der Mensch macht sich selbst. Zweifel an Maria, der Jungfrau und Gottesmutter. – Drei Jahre vor seinem Tod Silvester 2022 greift Papst emeritus Benedikt XVI. / Joseph Ratzinger zu einem Alarmruf. Auf nur zwei Manuskriptseiten beschreibt der emeritierte Papst die bedrohliche Situation nach 1968/70, geht auf die für ihn zentralen Aufgaben ein: nicht nur der Theologie, sondern der Kirche insgesamt mit der von bestimmten Seiten angestrebten Abschaffung des Menschen und damit der Abschaffung Gottes. Ratzinger sieht darin die größte Bedrohung des christlichen Glaubens in der Zeit nach dem Zweiten Vatikanum. (Zitat: Quelle: s.u.)
Nachkonzilszeit: Ende des Katholizismus befürchtet
Julius Kardinal Döpfner, 1964, stellvertretend für die vielen liberalen Konzilsbischöfe mit großem Einfluss in Rom wie in Deutschland. Quelle: wikimedia.commons (gemeinfrei): 28.10.24
Neue, bislang unbekannte Texte des emeritierten Papstes lassen aufhorchen. Es geht um unveröffentlichte Predigten, die er bei den Privatmessen sowohl als amtierender Papst von 2005 bis 2013 wie als Emeritus in der Zeit danach gehalten hat. Nachzulesen im Buch „Il Signore ci tiene per mano“ (Der Herr hält unsere Hand); Vatikan-Verlag „Libreria Editrice Vaticana“.
Für Ratzinger war die Nachkonzilszeit unter vielen Katholiken von der Stimmung des „Einreißens von Mauern“ geprägt, so dass man sogar das Ende des Katholizismus befürchtet oder gar herbeigesehnt habe. Nur der festen Entschlossenheit der Päpste Paul VI. und Johannes Paul II. sei es zu verdanken gewesen, dass die Kirche ihren Platz in der weiteren Geschichte habe sichern können.
Faktische Abschaffung des Schöpfers
Marienbildnis in Propsteikirche St. Johann, Bremen. Maria mit dem göttlichen Jesuskind, Gottessohn, umrahmt von musizierenden Engeln.
Im Bild nicht zu sehen die vielen Reihen aufgestellter Kerzen, von den Gläubigen angezündet – verbunden mit einem Bittgebet an die Jungfrau und Gottesmutter Maria.
Die radikale Weltlichkeit sei die vorherrschende Vision geworden, die sich dem Christentum entgegenstelle. Die menschliche Freiheit stehe im Vordergrund – seit Martin Luthers Betonung von der Freiheit des Christenmenschen, wie auch den Schriften des Erasmus von Rotterdam, Stichwort Humanismus. Noch einmal prononciert verstärkend nach den beiden Weltkriegen: Freiheit bis zur unvorstellbaren Radikalität. Der Mensch mache sich selbst, er habe keine Natur mehr. Er entscheide selbst, was er ist, männlich oder weiblich. – „Die Abschaffung des Schöpfers als Abschaffung des Menschen werde so zur eigentlichen Bedrohung des Glaubens.“
Im weiteren Verlauf geht Papa Emeritus auf die Kirchenväter ein, die im Geheimnis Jesu Christi die geschaffene und ungeschaffene Weisheit sehen, uns aufrufen, mit ihm (Jesus Christus) zusammen zu sein. Die Frage nach dem christlichen Menschenbild solle konkret angegangen werden: Vergebung durch den Christen. Lehre von den Sakramenten, Taufe, Buße, Eucharistie, Priestertum, Ehesakrament.
Menschenbild nach Franz von Sales
Es gäbe nicht nur „das“ christliche Menschenbild – nach Franz von Sales. Vielemehr viele Möglichkeiten und Weisen, wie sich das Menschenbild darstellen könne: von Petrus bis Paulus, von Franziskus bis Thomas von Aquin, von Bruder Konrad bis Kardinal Jaohn Henry Newman, etc.
Papst Benedikt XVI. 2012 zum Konzil
Es ist ja nicht das erste Mal, dass Papst Benedikt XVI. auf die Zeit nach dem 2. Vatikanischen Konzil zu sprechen kommt, so auch am 11. Oktober 2012 im Rahmen einer seiner Predigten. Er konstatiert eine sich ausgebreitete Leere nach dem Konzil. Damit untermauert der Pontifex maximus quasi im vorhinein seine später im Vermächtnis festgehaltenen Befürchtungen.
Zu einem späteren Zeitpunkt werde ich noch diverse Zitate von Joseph Ratzinger wiedergeben, die meine Ansicht bestätigen, dass Papst Benedikt XVI. die Konzilsergebnisse durchaus auch kritisch betrachtete – frei nach seinem Diktum: Konzil der Väter (der teilnehmenden Bischöfe des Konzils) versus Konzil der Medien und der liberalen Kleriker und Theologen: ein himmelweiter Unterschied.
Zitat 11.10.12: „Was ein Leben, eine Welt ohne Gott bedeutet, konnte man zur Zeit des Konzils bereits aus einigen tragischen Vorfällen der Geschichte entnehmen, heute aber sehen wir es leider tagtäglich in unserer Umgebung. Es ist die Leere, die sich ausgebreitet hat. Doch gerade von der Erfahrung der Wüste her, von dieser Leere her können wir erneut die Freude entdecken, die im Glauben liegt, seine lebensnotwendige Bedeutung für uns Menschen.“
Quelle: Die Tagespost. 17.10.24
Papst Benedikt XVI. 2005 zum Konzil
Ansprache von Benedikt XVI. an das Kardinalskollegium und die Mitglieder der Römischen Kurie beim Weihnachtsempfang, Donnerstag, 22. Dezember 2005. Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruches
Auszüge (Absätze, Unterstreichungen von mir): „Das letzte Ereignis dieses Jahres, bei dem ich bei dieser Gelegenheit verweilen möchte, ist der Abschluß des Zweiten Vatikanischen Konzils vor 40 Jahren. Dieser Anlaß läßt Fragen aufkommen: Welches Ergebnis hatte das Konzil? Ist es richtig rezipiert worden? Was war an der Rezeption des Konzils gut, was unzulänglich oder falsch? Was muß noch getan werden?
Niemand kann leugnen, daß in weiten Teilen der Kirche die Konzilsrezeption eher schwierig gewesen ist, auch wenn man auf das, was in diesen Jahren geschehen ist, nicht die Schilderung der Situation der Kirche nach dem Konzil von Nizäa, die der große Kirchenlehrer Basilius uns gegeben hat, übertragen will: Er vergleicht die Situation mit einer Schiffsschlacht in stürmischer Nacht und sagt unter anderem: »Das heisere Geschrei derer, die sich im Streit gegeneinander erheben, das unverständliche Geschwätz, die verworrenen Geräusche des pausenlosen Lärms, all das hat fast schon die ganze Kirche erfüllt und so durch Hinzufügungen oder Auslassungen die rechte Lehre der Kirche verfälscht …« (vgl. De Spiritu Sancto, XXX, 77; PG32, 213 A; SCh 17bis, S. 524).
Wir wollen dieses dramatische Bild nicht direkt auf die nachkonziliare Situation übertragen, aber etwas von dem, was geschehen ist, kommt darin zum Ausdruck. Die Frage taucht auf, warum die Rezeption des Konzils in einem großen Teil der Kirche so schwierig gewesen ist. Nun ja, alles hängt ab von einer korrekten Auslegung des Konzils oder – wie wir heute sagen würden – von einer korrekten Hermeneutik, von seiner korrekten Deutung und Umsetzung.
Die Probleme der Rezeption entsprangen der Tatsache, daß zwei gegensätzliche Hermeneutiken miteinander konfrontiert wurden und im Streit lagen.
- Die eine hat Verwirrung gestiftet, die andere hat Früchte getragen, was in der Stille geschah, aber immer deutlicher sichtbar wurde, und sie trägt auch weiterhin Früchte.
- Auf der einen Seite gibt es eine Auslegung, die ich »Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruches« nennen möchte; sie hat sich nicht selten das Wohlwollen der Massenmedien und auch eines Teiles der modernen Theologie zunutze machen können.
- Auf der anderen Seite gibt es die »Hermeneutik der Reform«, der Erneuerung des einen Subjekts Kirche, die der Herr uns geschenkt hat, unter Wahrung der Kontinuität; die Kirche ist ein Subjekt, das mit der Zeit wächst und sich weiterentwickelt, dabei aber immer sie selbst bleibt, das Gottesvolk als das eine Subjekt auf seinem Weg“.
Nachbetrachtung
Ich denke, alle, aber auch alle Gläubigen und Kleriker (vor allem Bischöfe), die bislang, zumeist unreflektiert, vehement Vaticanum II verteidigten, ich meine konkret katholische Radiosender, bekannte Ordensgemeinschaften, bekannte Diözesanbischöfe, sollten in sich kehren und einmal über die Worte des großen Theologen-Papstes Benedikt XVI. nachdenken, realisieren, warum sich beispielsweise – nach dem Konzil 1962/65 – katholische Bruderschaften etabliert hätten: Piusbruderschaft FSSPX wie Petrusbruderschaft FSSP, wie Christus König Hohepriester und viele andere mehr. Nein, viele Bischöfe „hacken“ immer noch auf ihnen herum, sind erklärte Gegner der heiligen Messe aller Zeiten.
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