Christliche Pilger sind auf ein Ziel fokussiert.
Beim Camino de Santiago ist es das Grab des Apostels Jakobus in der Kathedrale von Santiago de Compostela. Das Ankommen in Santiago hat seine Bedeutung, einerseits das gewollte Ende einer langen christbezogenen Wanderschaft, andererseits spiegelt sich in ihr unsere Pilgerschaft auf der Durchreise hin zum Ende unseres Lebens, an dem der Herrgott steht. Der Berg der Verklärung, versinnbildlicht mit der Kathedrale von Santiago, steht für die Sehnsucht nach einer zukünftigen Welt, in der keiner mehr weinen muss, außer vor Freude. Was bleibt, sind die Bilder eines Himmels, der sich zuweilen öffnet.
Der Jakobspilger verehrt den heiligen Apostel …
… und Jünger Jesu Christi. Auf dem Weg gibt es viele Momente dafür, er verehrt gleichermaßen die überall am Weg auf ihn schauende Gottesmutter und Jungfrau Maria. Letztlich wird er seinen Blick seinem Herrgott zuwenden, denn: In allen Heiligen, Jakobus wie Maria und den vielen Tausend der vergangenen Jahrhunderte wie der Jetztzeit, die Teil des Leibes Christi sind, wird Gott sichtbar.
Wie die Pilger/Wallfahrer in St. Peter ehrfürchtig die Füße der Figur des Apostels Petrus berühren, in Lourdes in der Grotte von Massabielle andächtig am liebsten den Felsen umarmen möchten, vorsichtig mit der Hand an ihm entlangstreichen, so zieht es nahezu jeden Pilger hin zur Jakobusfigur hinter den Hochaltar der Kathedrale: mit der Umarmung des Apostels seine gute Ankunft besiegeln, ein kurzes Dankgebet murmeln. Elke und ich war es dreimal vergönnt. Weihbischof Stefan Zekorn von Münster hat es einmal so ausgedrückt: „Nach langem Unterwegssein anzukommen und einen Heiligen zu finden, der – bildlich gesprochen – darauf wartet, umarmt zu werden, das ist für mich nach wie vor eines der schönsten Bilder für den Himmel, eine heilige Spur zu einer ja eigentlich unvorstellbaren Wirklichkeit. So steht die Konkretheit der Gnadenbilder für die Konkretheit der Zuwendung Gottes.“
Für Wallfahrer steht das Gebet im Vordergrund, …
… gerne der Rosenkranz. Bewußt gebetet, nicht heruntergeleiert, vermag er – nomen est omen – Berge versetzen. Mit ihm, dem Rosenkranz, die Stationen Jesu Christi-Leben meditieren, eingedenk des Wissens um die ihn begleitende Gottesmutter, die Jungfrau Maria. Ihr zu Ehren das über 250 x gebetete Ave-Maria, in Lourdes vor der Grotte oder auf den Prozessionen lateinisch, ob von Deutschen, Engländern, Amerikanern, Franzosen, Italienern, Portugiesen, Holländern, Ungarn, Polen, Süd-Amerikanern, et ecetera. Ein erhabenes Gefühl breitet sich dann aus.
Auf dem Camino de Santiago gibt es genügend Stille, …
… Ruhe und damit Zeit, das ist ja der Vorteil des Einzelpilgers, das Ave-Maria wie das Vaterunser zu meditieren, sich in ein Gespräch mit dem Herrgott einlassen, das durchaus klagend, fragend sein kann. Der Rhythmus des Gehens bestimmt den Rhythmus des Gebets, und das ist gut so. Wer dies in die Vorbereitung seines Camino de Santiago impliziert, einfließen läßt, der wird den Weg zu Fuß präferieren.
Niemand kann sich dem Zauber des Camino de Santiago entziehen, …
… auch nicht jene sportiven Wanderer, die mit der Kirche nichts am Hut haben. Der Camino bleibt unvergessen. Jeder kann sich von den Worten des Erzbischofs von Santiago, Monsignore Julian Barrio, angesprochen fühlen, zu Papier gebracht in seinem Brief zum Compostelanischen Jahr 2010:
„So ist der Weg nach Santiago für den, der im Geist und in der Wahrheit pilgert, ein geeigneter Ort, um mit Gott ins Gespräch zu kommen; er ist ein Zeichen, das ihm hilft, sich von Gott geschaffen durch Christus befreit zu fühlen. Und er ist eine Erfahrung, in der der Pilger lernt, zu geben und zu empfangen. Die Stille ist der Ort des Wortes Gottes, und der Pilger muss auf dem Weg seiner Pilgerschaft meditieren, wie es auch die Pilger von Emmaus taten. Im Wort Gottes begegnen wir einer Art und Weise, uns verschiedene menschliche Erfahrungen aufzeigen zu lassen auf der Suche nach dem Guten und der Wahrheit, und um die Zusammenhänge zu erkennen.“
Hieronymus Münster, 15. Jahrhundert,…
… in seinem Reisebericht „Ein Nürnberger Arzt auf der Suche nach der Wahrheit“ über Santiago de Compostela: „Wie sehr ist dieser heilige Ort zu verehren, in dem die heiligsten Gebeine des Apostels, die Gott in seinem Fleisch berührten, begraben liegen. Deshalb erstrahlt der große Jakobus in Galicien durch Wunder, und er erstrahlt ebenso an anderen Orten. Lass uns also pilgern – im wahren Pilgergeist: Unterdrückung der Laster, Abtötung des Fleisches, Hervorhebung der Tugenden, Vergebung der Sünden, Buße der Reumütigen, Weg der Gerechten, Liebe zu den Heiligen, Glaube an die Auferstehung, Ferne von der Hölle und Gewährung des Himmelreichs.“ Das mag für heutige Ohren befremdlich klingen, in die moderne Sprache übersetzt wird jeder Angesprochene seine positiven Rückschlüsse ziehen können.“
Allen Pilgern gemeinsam ist die Ergriffenheit und Dankbarkeit,…
… wenn sie dann schlußendlich mit Tränen in den Augen auf dem Praza do Obradoiro vor der Westfassade der Kathedrale des Sant´iago stehen, inmitten anderer Pilger, fremde oder jener, die mit ihnen einige Strecken zusammen gegangen sind, erfüllt vom Erlebten des Weges, ergriffen vom Erreichten.
Später dann im Pilgergottesdienst…
… staunend das Schwenken des Weihrauchfasses (Botafumeiro) beobachten, der Nonne lauschen, sie singt mit klarer, hoher Stimme, stimmt die Pilger ein, gibt Informationen zum Ablauf der heiligen Messe, zur Herkunft der Pilger; kurzum: die Erhabenheit spüren, die dem Ganzen innewohnt. So mancher kann mit dem parallelen Gewusel, dem ständigen Kommen und Gehen nichts anfangen. Alles sei doch nur Show. Nein. Katholizismus heißt, die Menschen annehmen, so wie sie auch sind: laut, manchmal wenig rücksichtsvoll.
Die heilige Messe direkt am Jakobusgrab – unterhalb des Hochaltars -, die deutsche Pilgerbetreuung macht es möglich (in unserem Fall für vierzehn Pilger), ist, profan ausgesprochen, nicht zu toppen. In 2018 hatten die Autoren das Glück, im Kreis von sechs Wallfahrern einer sogenannten Stillmesse nach dem überlieferten römischen Ritus in den Vatikanischen Grotten am Grab des Apostels Petrus beizuwohnen, der Zelebrant ein junger Professor und Priester.
Mit einem Male ist alle Mühsal vergessen, …
… das stundenlange Gehen, das Drücken des Rucksacks, die Schmerzen, die Fußblasen, die Hitze, der peitschende Regen, die Berge, das Geröll, das vermeintlich sinnlose Dahintrotten, die Gedanken über den vorzeitigen Abbruch, das Schnarchen der Mitpilger, der „Kampf“ um einen Herbergsschlafplatz, das laute Geschnatter auf dem Weg.
Achthundert Kilometer von Navarra durch La Rioja, via Burgos und León, den Provinzstädten von Kastilien-León, durch unendlich scheinende Getreidefelder der Meseta, der heißen spanischen Hochebene, durch das Land der Maragatos, über die Montes de León mit dem Cruz de Ferro, auf dem Camino duro, dem harten Weg nach O Cebreiro, durch mittelalterlich anmutende, verarmte Bauerndörfer ins hügelige, grüne, bewaldete, häufig regnerische Galicien, zum Grab des Apostels Jakobus.
Die Pilger spüren:
Der Jakobusweg ist besonders. Nirgendwo sonst haben sie diese Emotionen erleben dürfen. Nirgendwo sonst als vor der Kathedrale von Santiago de Compostela ist ihnen klargeworden, was ein Pilgerweg an ihnen bewirken kann. Jetzt, nach der Pilgermesse in der Kathedrale, zählt in der Gesamtschau nur noch die tiefe Dankbarkeit über das Erreichte.