Der Pilgerführer des 12. Jahrhunderts veranschlagt für rund 800 Kilometer dreizehn Etappen — von den Pyrenäen bis nach Santiago. Wir sprechen gerade von unserer neunundzwanzigsten. Jedoch: über 60 km je Etappe sind nicht zu schaffen, gestern wie heute.

Der Autor wollte die Reisewilligen wohl nicht über Gebühr verschrecken und euphemisierte. Gleichwohl: ein Chapeau den mittelalterlichen Pilgern.
Bekannte, Nachbarn, Kollegen schütteln sowieso nur mitleidig mit dem Kopf. Für die meisten sind schon fünf Kilometer am Stück eine Zumutung, und dann noch mit einem Rucksack auf dem Rücken, der von Tag zu Tag schwerer wird.
Mai 2006. Rasch verlassen zwei im Regenzeug eingehüllte Pilger den düsteren Ort in Richtung Passstraße. Die Anhöhe des Monte Pozo de Area schenken sie sich. Was sollen sie dort an diesem nebelverhangenen Morgen schon sehen? Es geht abwärts, scharf am Hang. Es könnte ja wie aus dem Nichts ein Auto auftauchen. Den vereinbarten Obolus hat der Mann im Zimmer deponiert und den Haustürschlüssel kunstgerecht auf den Tisch des Cafés fallenlassen. Er ist skeptisch. „War das richtig?“ „Werden wir ja sehen“, antwortet seine liebe Frau.
Herberge Triacastela.Vom O Cebreiro bis nach Triacastela sind es nur zweiundzwanzig Kilometer. Nach sechs Stunden, es ist halb zwei, liegt der Ort vor ihnen. Linke Hand, auf einer großen Wiese, die Herberge. Sie ist noch geschlossen. Eine Reihe abgestellter Rucksäcke dokumentiert recht anschaulich
FotoQuelle: commons.wikimeida (20.07.25), gemeinfrei. AutorJosé Antonio Gil Martínez. FREECAT aus Vigo

… das Procedere, das bald folgen wird. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, will sagen, hat Anspruch auf ein Bett, eine Liege, mit oder ohne Decke oder Bettlaken. Und es warten bereits viele auf Einlass. Wäre also ein Vabanquespiel. Darauf wollen es die Beiden nicht ankommen lassen, Heidrun und ihr Begleiter sehr wohl. Für sie kommt die Übernachtung in einem Hotel nicht infrage: als Pilger nächtige man nur in Herbergen, so wie im Mittelalter. Das allerdings wage ich zu bezweifeln. Es wird seinerzeit sowohl billige, armselige wie teure und der Zeit entsprechend komfortable Unterkünfte gegeben haben. Das gegenüber liegende Hostal hat geöffnet. Das Zimmer liegt im hinteren Gebäudebereich, fern von jedem Laut.

Triacastela. Hostal, direkt gegenüber der Herberge.
Die langen Abstiege auf den Fuhrwegen, er nennt sie mittelalterlich, hatten ihnen zu schaffen gemacht, ebenso der kurze, aber sehr steile Anstieg zum Alto de Poio (1337 m). Der steile Hohlweg, der zum Pass führt, teils auf rutschigen Schieferplatten, ist nicht leicht zu gehen gewesen. Jeder Schritt eine Qual bei diesem Wetter, es regnet, die Umhänge tun ihren Dienst. Die Posada-Bar ist gut besucht, er ordert Getränke und Süßes, wie immer ist Kit-Kat dabei.
Der anderthalb Stunden zuvor erreichte Alto de San Roque (1270 m) ist auch nicht ganz ohne gewesen. Siegfried und Bunter Vogel sind anscheinend besser drauf, sie wollen weiter nach Samos zum Kloster.
Einschub: später wird ihm Siegfried erzählen, dass er sich den Besuch des Klosters hätte schenken können. Es war nämlich geschlossen. —Jetzt rächt es sich, dass er zu wenig Pausen eingelegt hat. „Veranstaltest du eigentlich ein Wettrennen, oder was ist los!?“ deklamiert seine Elke. Das Mittagsschläfchen muss sein. Angenehm, das Hostal beherbergt eine Bar, ein Cafe. Das Pilgermenü schmeckt, knapp zehn Euro sind nicht zu viel, er komplettiert sodann die eiserne Ration, man kann ja nicht wissen, wieder mit Kit-Kat, Kuchen und den geliebten Keksen. Damit hatte ihn Gero schon auf der Route-66-Tour aufgezogen.
Nun sage aber keiner, das alles sei ja eine Tortur, nein, es sind tolle Erfahrungen, Grenzüberschreitungen, die einen prägen und beide wissen lassen, zu welchen Leistungen, körperlichen wie geistigen, man fähig ist.
Triacastela. Drei Burgen. Tres castros. König Alfonso IX. ließ den Ost im 13. Jahrhundert besiedeln. Es soll auch ein Pilgergefängnis gegeben haben. Für den Pilgerführer des Codex Calixtinus die 9. Etappe mit mehreren Herbergen, einem Kloster und drei Burgen. Die Pfarrkirche Iglesia de Santiago ist – nomen est omen – dem Apostel Jakobus geweiht mit einem interessanten Turm aus dem 18. Jh. mit dem Relief der drei erwähnten Burgen. Die romanische Apsis entstammt dem 12. Jh. Aus dem nahe gelegenen Steinbruch schleppten die Pilger soviel Steine wie möglich mit nach Compostela zum Bau der Kathedrale. Das Pilgerdenkmal erinnert an die alten Zeiten.
Wer das elent bawen wel, 13. Jh.
So ziehen wir zu sant Spiritus ein, man gibt uns brot und guoten wein, wir leben in reichem schalle.
Hermann Künig von Vach, 1495
(…) und sollst Gott und Maria Dank und Lob sagen, daß du bis dahin gesund gekommen bist, und du sollst Gott und Maria mit Eifer dienen.








Quellen / Verweise
Mittelalterliche Zeugen / Autoren
Arnold von Harff. Das Pilgerbuch des Ritters Arnold von Harff (1496‐1498). Helmut Brall‐Tuchel und Folker Reichert. Böhlau Verlag Köln Weimar Wien; 3. Auflage 2009.
Domenico Laffi. Aus: Der Jakobsweg. Ein Reiseführer für Pilger. Millan Bravo Lozano, 1998. Turespana.
Domenico Laffi. A Journey to the West; 1670‐73. Translated by James Hall. Xunta de Galica, 1997.
Liber Sancti Jacobi/Codex Calixtinus. Aus: Der Jakobsweg. Ein Pilgerführer aus dem 12. Jh.. Klaus Herbers. Reclam, 2008.
Hermann Künig von Vach. Aus: Die Strass zu Sankt Jakob (1495). Der älteste deutsche Pilgerführer nach Santiago.
Klaus Herbers und Robert Plötz. Jan Thorbecke Verlag, 2004.
Wer das elent bawen wel. Lied der Jakobspilger seit dem 13. Jh.. Aus: Website www.jakobus‐info.de.
Wander‐/Reiseführer / Hinweise
DuMon aktiv. Spanischer Jakobsweg. Dietrich Höllhuber. 4. Auflage 2006.
Outdoor. Spanien: Jakobsweg Camino Frances. Michael Kasper & Michael Moll. Conrad Stein Verlag. 10. Auflage.
Unser Reisebericht fasst die von uns beschriebenen Erlebnisse dreier Pilgerwanderungen der vergangenen Jahre zusammen. Sollten wir dabei die Rechte
genannter oder auch nicht genannter Autoren ungenügend gewürdigt und/oder berücksichtigt haben, erbitten wir schon jetzt Dispens.
Literatur
Julian Barrio Barrio. Erzbischof von Santiago. Pastoralbrief zum Heiligen Compostelanischen Jahr 2010. Deutsche Fassung: Bischöfliches Ordinariat der
Diözese Rottenburg‐Stuttgart.
Paulo Coelho. Auf dem Jakobsweg, 1986/87. Diogenes. Shirley MacLaine. Der Jakobsweg, 1994/2000. Goldmann.
Menschen auf diesem Weg. Gebet aus: Pray – Das Jugendgebetbuch. Veröffentlicht zum XX. Weltjugendtag Köln 2005.
Gebetstext Heil`ger Jakobus. Aus: www.jakobus‐weg.de. Text von Wolfgang Schneller, 1987.
Dietrich Höllhuber, Werner Schäfke. Der Spanische Jakobsweg. Dumont Kunst Reiseführer, 6. aktualisierte Auflage.
Jakobusfreunde Paderborn. www.jakobusfreunde‐paderborn.eu.
Norbert Ohler. Pilgerstab und Jakobsmuschel. Patmos. 2. Auflage 2003.
Pilgerurkunde. Deutsche Übersetzung der Compostela: www.santiago‐online.com.
Gebetstext Segnung der Pilger. Stiftskirche Roncesvalles. Aus: www.jakobus‐info.de.