Ausgerechnet im letzten Winkel West-Europas, in Finisterre, am sogenannten Ende der Welt*), arm und verlassen, trug sich eine der wirkmächtigsten Geschichten Europas zu, mit weltweiter Ausstrahlung. Ein Eremit hatte einseltsames Lichtspiel am Firmament beobachtet. Später werden wir sehen, dass sich auch die Gottesmutter und Jungfrau Maria niemals den Herrschenden zeigen wird, immer den Ärmsten, ob in Lourdes 1858, in Fatima 1917 oder Jahrhunderte zuvor im mexikanischen Guadulupe (Mexiko City) 1531 oder anderswo.
*) Ende der Welt: Auch für die Mehrzahl der mittelalterlichen Pilger nur eine Metapher. Den meisten war schon klar, dass die Erde keine Scheibe ist, sondern einer Kugel gleich. Der heilige Bischof Isidor von Sevilla, seine Gebeine befinden sich in der Basilika von Leon, sprach im 7. Jh. von einem Globus.
Die Jakobus-Kathedrale im Baufortschritt der Jahrhunderte
Die Kathedrale von Santiago de Compostela wird niemals komplett zu Ende gebaut sein. Sie ist fortlaufend im Umbruch, ob- An- und/oder Umbauten, in ihr steckt eine positive Dynamik. Ob nun die Bauherren zu jeder Zeit die richtigen Ideen, oft auch Ich-zentrierten Ideen, gehabt haben, bleibt dahingestellt. Ihre Erbauer, Baumeister und Architekten, seit dem 9. Jahrhundert, kamen aus ganz Europa, von den wichtigsten Orten des Christentums. Ihr Ziel war es über die Jahrhundert hinweg, nicht die vollkommenste Pilgerkirche zu bauen, sondern Compostela, Kirche wie Ort, zu einem religiösen und künstlerischen Zentrum für die ganze christliche Welt zu machen, analog Rom und Jerusalem.
Die Wege, die die Baumeister zu ihrem neuen Arbeitsplatz Compostelle zurücklegen mussten, von wo auch immer, sind noch heute Bestandteil des Camino de Santiago. Und das ist weltweit einzigartig. Jakobspilger aller Zeiten auf den Spuren mittelalterlicher Baumeister und Pilger, nicht nur die Wegführung betreffend, nein, auch was die teils noch original erhaltenen mittelalterlichen Wegstrecken angeht.
Einschub: Das wollen heuer (2020/2021) spanische Bürgermeister ändern, den Camino de Santiago zu einem vollends touristischen Wander- und Erlebnisweg umfunktionieren: alte Wege betonieren, begradigen, Wohnwagen-Parkplätze direkt am Weg bereitstellen, etc. Beispiele: Foncebadon, Cruz de Ferro. An anderer Stelle dazu mehr.
9. Jahrhundert
Pelayo, ein Eremit, beobachtet um 813 nach Christus ein seltsames Lichterspiel am Firmament. Er deutet es direkt über der alten römischen Burg. Nicht nur er, auch einige Hirten sehen das Schauspiel. Wem fällt da nicht sofort Jesu-Geburtsgeschichte nach Lukas 2, 8f ein: „In dieser Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat ein Engel des Herrn zu ihnen und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie und sie fürchteten sich sehr. Der Engel sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll.“
Recht bald kommt der Bischof von Iria Flavia, dem heutigen Perdon, stellt Untersuchungen an und entdeckt unter verborgenem Grün tief im Erdreich ein mit einer Marmorplatte abgedeckte Gruft, bestehend aus drei Gräbern. Bischof Teodomiro ist sofort klar, welche Überreste er hier vorgefunden hat, die des Apostels Jakobus wie die seiner Jünger Anastasio und Teodoro. König Alfonso II. von Asturien, genannt der Keusche (761 bis 842, König ab 791), läßt postwendend nach seiner Wallfahrt zum Grab hierüber eine Kapelle bauen, nebst einem kleinen Kloster namens Antealtares. Das Bauvorhaben wird 830 n. Chr. fertiggestellt – an der Stelle, wo Jahrhunderte zuvor ein von den Römern erbautes Dorf gestanden hatte. Die angesiedelten Mönche sollen dazu beitragen, diesen Ort – den Locus Sancto Jacobi – der Christenheit zugänglich zu machen, zu erhalten. Alfons` II. Vorstellungen realisieren sich recht bald. Die Pilger strömen herbei, über die besondere Verehrung des Apostels hinaus an besonderer Stelle zum Herrn zu beten. Den Pilgern war schon klar, dass das Wirken des Apostels ohne den Herrgott, ohne Jesus Christus nicht zu deuten ist. In Folge wird dann auch die Verehrung der Gottesmutter und Jungfrau Maria eine bestimmende Rolle einnehmen.
In 1955 während der Ausgrabungen unterhalb der Kathedrale entdeckten die beauftragten Fachleute eine Grababdeckung, die Bischof Teodomiro zugesprochen wurde. Weitere Schriftzeichen bezogen sich auf des Bischofs Aufzeichnungen seines Fundes vom frühen 9. Jahrhundert. Die externe sogenannte Fachwelt bleibt selbstverständlich nach wie vor skeptisch resp. stellt die Konklusion in Frage.
Zurück zu den Anfängen
Foto: Kalifat von Cordoba im Jahr 1000 n. Chr. commons.wikimedia. Gemeinfrei (20.09.24).
Moslemische Sarazenen hatten zwischenzeitlich, beginnend im frühen 8. Jahrhundert (711), die iberische Halbinsel überrannt. Die im Süden des Landes beheimateten Mönche waren in den Norden geflohen, mit dabei die von ihnen – Gott sei`s gedankt – geretteten frommen Texte und Codices.
Der Einfall des Sarazenen-Heerführers Almanzor (938-1002) im Nord-Westen des Landes, genauer gesagt die von ihm veranlaßte Zerstörung Compostellas im Jahr 997, kann letztlich nur als ein Intermezzo betrachtet werden. Die Bedeutung und Strahlkraft des Kalifats von Cordoba (929 – 1031) hatte abgenommen, zumindest was den Norden Iberias anging. Die christlichen Könige sorgten für eine stabile Grenze, ließen Straßen und Brücken bauen. Die Pilgerschaft entwickelte sich rasant.
Anno Domini 1065
Die Kunde vom Auffinden des Grabes erreicht Conques / Concas in Aquitanien, dem heutigen Süd-Frankreich. Meister Bernado macht sich 8 Jahre später auf nach Compostelle. In Conques gibt es für ihn nichts mehr zu bestellen, der Neubau der Kirche war unterbrochen worden, das Kloster des 8. Jahrhunderts, gebaut von Mönchen, die vor den Sarazenen geflüchtet waren, war im 11. Jahrhundert bewußt zerstört worden einer größeren Kathedrale wegen. Warum? In Conques wurden/werden die Reliquien der heiligen Foy (hl. Fides) verehrt. Mit 12 Jahren ereilte sie in 303 n. Chr. das Martyrium: auf einem glühenden Rost gemartert und enthauptet. Ihr zu Ehren also ein neuer, größerer Tempel.
Die Baumeister jener Zeit wanderten ohnehin quasi von Kirch-Neubau zu Kirch-Neubau. So ist auch zu verstehen, dass sich viele Kathedralen jener Zeit einander ähneln. Sie waren firm darin, den Anforderungen von Klerus und Pilger gerecht zu werden. Sie wußten, die Raumaufteilung so zu gestalten, dass die Reliquienverehrung nicht die Liturgie störte: ungehinderter Zugang der Pilger zu den Reliquienstätten parallel zur ungestörten Feier der Heiligen Messe (Liturgie). Dieses Unterfangen wurde später in Compostella perfekt gelöst, durch Integrierung von Galerien und Implizierung sogenannter Radialkapellen hinter dem Hauptaltar. Der ungebremste Pilgerstrom sorgte für eine Infrastruktur von bemerkenswerter Güte: Hospitäler, Straßen, Brücken. Auswärtige Gewerbetreibende fühlten sich angezogen, sich niederzulassen, Geld zu verdienen. Orte entwickelten sich. Künstler und Kulturschaffende zeigten sich gleichermaßen interessiert. Ein neues Europa der Vielfalt begann sich zu entwickeln.
Meister Bernado hatte gehört, dass Bischof Diego Pelaez in Compostella (Bischof von 1075 bis 1088) eine neue Basilika bauen lassen will – mit Unterstützung von König Alfonso VI. el Bravo von Leon, Galicien und Kastilien (El Bravo: der Tapfere; 1037 – 1109). Die Re-Conquista war im Norden des Landes zum ihrem Abschluß gekommen. Im Süden der Halbinsel sollte es noch bis 1492 dauern; ihre Protagonisten, die Katholischen Könige Ferdinand II. und Isabella I., werden heute vielerorts auch seitens christ-katholischer Wissenschaftler und den Leitmedien ohnehin skeptisch bis verurteilend betrachtet – Stichwort: Mythos tolerante Mauren und intolerante Christen.
Schnell bilden sich vier Routen heraus, Puente la Reina bündelt sie. Von dort geht es, gestern wie heute, weiter auf dem einmaligen (unique) Camino Frances nach Santiago de Compostela.
Bernado überzeugt Bischof Pelaez von seinen handwerklichen Fähigkeiten, darf die romanische Kirche um- und anbauen. Bei Ausgrabungen unterhalb der Kirche werden Reste der ersten Apostel-Kapelle gefunden, dabei auch Überreste des Jakobus selbst und seiner Jünger Anastasio und Teodomiro, so ihre feste Überzeugung. Die weiters gefundenen, überwucherten Mauereinfassungen eines römischen Dorfes können dem 1. – 4. Jahrhundert zugeordnet werden. Man scheut sich nicht, die aufgefundenen Steine, etc. für den Neubau zu verwenden.
Autor Jesus Sanchez Romeya zitiert für die Untermauerung der Glaubwürdigkeit der wieder aufgefundenen sterblichen Reste des Jakobus einerseits Bischof Adhelm von Sherborn, 700 n. Chr., sowie andererseits die Schriften des englischen Mönchs, Priesters, Kirchenlehrers und Historikers Beda Venerabilis (Venerabilis meint Ehrwürdiger); er lebte von 672 bis zum 26. Mai 735. Sein Werk „Historia Ecclesiastica Gentis Anglorum“ hatte ihn berühmt gemacht. Er beschreibt darin die Geschichte Englands von den Zeiten der römischen Eroberung an bis zum Jahr 731. Diese seine Geschichtsschreibung setzte neue Standards, er führte auch die Datierung „nach Christi Geburt“ ein. Forscher schreiben ihm eine besondere Sorgfalt bei der Informationsbeschaffung zu. Wie Bischof Adhelm berichtete Beda, dass in Galicien Reliquien des Apostels Jakobus versteckt seien. Das stellen heutige historisch-kritische Wissenschaftler in Abrede frei nach dem Motto, was nicht sein darf, kann auch nicht gewesen sein.
Romeya sieht in den Byzantinischen Brevier-Texten des 5. Jahrhunderts den Ausgangspunkt für die Annahme, dass der Apostel in Hispania gewirkt haben muss: Beigesetzt in einem Marmaric Ark; von Bischof Teodomiro in 813 als Gruft des Jakobus identifiziert. Der Bischof selbst erlebt nicht mehr die ungeheure Ausbreitung des Pilgerstroms. Mythos und Realität vermischen sich fortan. Zu nennen ist das Eingreifen des Apostels in Clavijo. Auf einem Schimmel reitend unterstützt er den zunächst erfolglos erscheinenden Kampf König Ramiros I. (790, König von 842 bis 850) gegen Sarazenenanführer Abderrahman II. Seit diesem Sieg gilt der Apostel als Verteidiger des Christentums. Aus Dankbarkeit initiiert der König die sog. Santiago Vow, eine Ernteabgabe, die jeder Bauer an die Kirche abzutreten hat. Alfons III. der Große (848 – 910) läßt 899 eine neue dreischiffige Kirche bauen, reformiert die Klöster, setzt sich gleichermaßen für eine Liturgiereform ein, nicht nur, aber auch zum Wohle der einsetzenden Pilgerschaft.
A. D. 1074
Bischof Pelaez ist die geordnete Pilgeraufnahme wichtig. Er sorgt dafür, dass die Pilgergottesdienste nahezu ununterbrochen zelebriert und gefeiert werden können. Er wendet sich vom mozarabischen Ritus ab, einem speziell in Hispania entwickelten Ritus, auch Toledanischer oder Isidorianischer Ritus (Bischof Isidor von Sevilla (560 – 636) genannt, läßt fortan die römische Liturgie feiern. Schon bald hat er sich Neider zu erwehren, sie klagen ihn des Hochverrats an: Er soll sich mit den aus England stammenden Normannen verbunden haben. Er wird verbannt, 1088 gefangengesetzt, auf Anordnung des Königs vom Amt des Bischofs entbunden.
1095 wird mit Zustimmung von Papst Urban II. (1035, Papst von 1088 bis 1099) der Bischofssitz von Iria Flavia nach Santiago de Compostela verlegt. 1101 engagiert Erzbischof Diego Gelmirez (1069, Bischof von 1101 bis 1140) den berühmten Meister Esteban für seine weiteren Bauvorhaben. Esteban fügt dem Dom ein Querschiff zu – analog der Kathedralen von Toulouse und Conques. Neben Esteban läßt Gelmirez die besten Konstrukteure Europas herbeiholen. So nimmt im Norden die Puerta Francigena Gestalt an, im Süden die Puerta de Platerias inklusive der Einbezieung eines Atriums zwecks Verbindung zum Bischofspalast.
In 1775 wird der erste Portikus zerstört. Das Nordportal mit der Azabacheria-Fassade entwickelt sich. Einige erhaltene Stücke werden im Dom-Museum aufbewahrt.
Reliquien mehrerer Heiligen werden von Braga im heutigen Portugal nach Santiago überführt, in die Gruft der Kathedrale beigesetzt; der Terminus „entwendet“ trifft es zielführender. Es handelt sich um die sterblichen Überreste von Fructuosus (erster Bischof von Tarragona), er starb 259 als Märtyrer während der Christenverfolgung unter Valerian und Gallienus den Feuertod; die heilige Susanna (Daten unbekannt) und Cucupha (270 – 304), sein Martyrium ist an Unsäglichkeit nicht zu überbieten; wie auch die Reliquien des heiligen Sylvester. Die Originalhandschrift des Codex Calixtinus aus 1120, sie werden Papst Calixtus II. (1065, Pontifex von 1119 bis 1124) zugeordnet, befindet sich gleichermaßen in der Kathedrale resp. im Dom-Museum.
12. Jahrhundert. Der Jakobusweg führt Menschen zusammen,
unterschiedliche Kulturen vermischten sich, Burgen wie neue Städte entstanden, Krankenhäuser, Hospitäler, Gasthäuser, die wirtschaftliche Komponente nahm zu. Der Kathedrale wird zu Recht die Benchmark für den Bau künftiger Gotteshäuser zugesprochen. Der Neid läßt nicht auf sich warten, er trifft Erzbischof Diego Gelmirez: exkommuniziert wie begnadigt. 1117, während des Bürgeraufstands gegen ihn, geht das Nordportal in Flammen auf. Gelmirez geht nicht nur dieserhalb in die Annalen ein, er zeichnet für die erste niedergeschriebene Bistumsgeschichte, die Historia Compostellana, verantwortlich.
Anno Domini 1168
30 Jahre nach Bischof Gelmirez` Tod, reiht sich Meister Mateo (1150 – 1217) in die Geschichte der berühmten Baumeister der Kathedrale ein. Gerufen von König Fernando II. von Leon (1137, König von 1157 – 1188) bringt er den unverwechselbaren Portikus de la Gloria zur Geltung, einen der schönsten Kircheneingänge überhaupt; eine wahre Meisterleistung. Eine Meisterleistung auch die Renovierung der Westfassade mit der Überbrückung unterschiedlicher Ebenen. Um- wie Anbauten der Kathedrale scheinen vorerst beendet. Jedoch: 1211 schaltet sich König Alfons IX. von Leon (1171, 1188 – 1230) ein, beauftragt Pedro Muno mit einem Erweiterungsbau; er betrifft den romanischen Teil.
13. Jahrhundert. Eine neue Zeit bricht an.
Das Gotteshaus erhält drei zentrale Kapellen: für den Erlöser Jesus Christus und für die Apostel Johannes und Petrus. In der rechten Wand der Erlöser-Kapelle wird eine unvollständig erhaltene Inschrift entdeckt: ANNO Milena SEPTVAGENO QUINTO Funda JACOBI. Sie beweist, dass tatsächlich in 1075 mit dem Neubau der Kathedrale begonnen worden war. Der Begriff „Heiliges Jahr“ taucht auf. Nachweislich wird es erstmalig in 1428 gefeiert, seit 1434 dann regelmäßig.
Das 15. Jahrhundert
beschert den Pilgern den Anblick eines gotischen Vierungsturms.
Das Weihrauchfaß ist in den Gottesdienstes nicht mehr wegzudenken. Erste Hinweise zum Botafumeiro waren schon dem Codex Calixtinus zu entnehmen.
Die Renaissance des 16. Jahrhunderts
16. Jahrhundert. Gegenüber der Kathedrale das Pilgerhospital namens Hostal de los Reyes Catolicos. Heute eines der besten Parador-Hotels Spaniens.
Die Renaissance des 16. Jahrhunderts bringt weitere bauliche Neuerungen mit sich, genauer gesagt ab 1509. Stichworte: Bau des Pilgerhospitals Hostal de los Reyes Catolicos, eines des schönsten Bauwerke jener Epoche.
Die Katholischen Könige Ferdinand II. (1452, 1468 – 1516) und Isabella I. (1451, ab 1474 Königin bis 1504) hatten eine Wallfahrt nach Compostela unternommen – aus Dankbarkeit für die Eroberung Granadas
Das Kloster wird neugestaltet, wie der Praza do Obradoiro. Die berühmtesten Baumeister der Renaissance, Juan de Alava (1480 – 1537) wie Juan Gil de Hontañón, (1480 bis 1526), zeichnen verantwortlich für die Arbeiten/Vollendung der neuen Fassade, wie für den berühmten Stufenturm. Der Bau des Torre de Vela beendet die temporären Baumaßnahmen. Der Treppenaufgang wird später von Gines Martinez hinzugefügt.
Störungen und Beeinträchtigungen
der Pilgerschaft. Die Pest im 15. Jahrhundert, wie Martin Luthers Reformation im 16. Jahrhundert führen zu einem nahezu vollständigen Abbruch der Pilgerschaft. Luther hatte sich sehr abfällig über die Reliquienverehrung geäußert, was ihn als jungen Luther nicht gehindert hatte, nach Rom zu pilgern, um auf der Heiligen Treppe, kniend Stufe für Stufe nach oben für seinen Onkel zu beten. Autor Jesus Sanchez Romeya erwähnt weiterhin als Grund das Schisma von 1378, auch Abendländisches resp. Päpstliches Schisma genannt. Von 1367 bis 1417 hatten zwei, seit 1410 sogar drei Päpste amtiert, sich gegenseitig disqualifiziert.
A.D. 1589
Erzbischof Juan de San Clemente wird rechtzeitig vor Francis Drake gewarnt, englischer Pirat im Auftrag seiner Majestät. Juan de Clemente vergräbt die Apostel-Reliquien hinter dem Hochaltar so gut, dass sich niemand mehr ihres Versteckes erinnert. Francis Drake verstand seinen Angriff, er landete in A Coruna, als Reaktion auf die letztlich im Vorjahr gescheiterte Invasion der spanischen Armada. Ohne die Reliquien des Apostels kommen immer weniger Pilger. Es scheint, als komme die Pilgerschaft zum Erliegen.
Das ändert sich – vorerst – 1656
nach Ankunft des Kanonikers José Vega y Verdugo in Santiago de Compostela. Er genehmigt eine Reihe ehrgeiziger Umbauprojekte, die von König Philipp IV. (1605 bis 1665) auch finanziell unterstützt werden. In 1658 begleiten mehrere Architekten den kompletten Umbau der Hauptkapelle, der neuen Apsis, den Portico Real de la Quintana als Pilgerzugang zur Heiligen Pforte, den Bau des Glockenturms, die Kuppel, die barocken Außenfassaden, die Ornamente innen wie außen, und letztlich bekommen die mittelalterlichen Zinnen riesige Ballustraden verordnet. Damit verschwindet Erzbischof Gelmirez` romanisches Erbe – einfach unter modernem Barock verborgen. Die von Meister Mateo weiland konstruierte Fassade zum Plaza do Obradoiro wird von Architekt Fernando de Casas ersetzt; die beiden mittelalterlichen Türme werden in die Höhe geschraubt, unterbrochen vom Einbau großer Fenster im Mittelbereich; sie sollen das Innere der Kathedrale heller machen. Über den Fenstern wird der Apostel mit seinen Jüngern Anastasio und Teodoro plaziert, daneben zwei Engel mit dem Kreuz des Santiago-Ordens. Die Urne, die das Grab des Apostels darstellen soll, ist mittig zu sehen, nahebei der Stern des Pelayo, der an dieser Stelle 813 das seltsame Lichterspiel beobachtet hatte.
25. Juli 1867. Tiefpunkt der Jakobsweg-Pilgerschaft.
Nur 40 Pilger kommen nach Santiago, wohlgemerkt im Heiligen Jakobus-Jahr. Mitausschlaggebend u.a. die sich im 19. Jahrhundert ergebenden sozialen Veränderungen.
Renaissance der Pilgerschaft. Endlich in 1879
findet Kanonikus Lopez Ferreiro die Jakobus-Reliquien, die 300 Jahre verschollen schienen. Fünf Jahre später in 1884 bescheinigt Papst Leo XIII. (1810 – 1903, Pontifex von 1878 an) den wiedergefundenen Gebeinen seine päpstliche Authentizität. Er preist sie und bittet die Bevölkerung, die Wallfahrten zum Heiligen Grab wieder aufzunehmen. Sein päpstliches Dokument ist letztlich der Schlüssel zur Belebung des jakobinischen Glaubens, der Wiederaufnahme der jakobinischen Pilgerschaft.
Was zeichnet den Bau der Kathedrale des Apostels Jakobus aus?
Großartige Vitalität, Werte, zurückgehend auf mittelalterliche Bischöfe wie Diego Peláez und Diego Gelmirez. Arbeiten berühmter Baumeister und Architekten wie Bernado, Esteban, Mateo, de Casas, de Alava und de Hontañón bleiben unverrückbar dem kollektiven Gedächtnis erhalten, unverändert und erkennbar. Der Geist aller hat dazu beigetragen, diese Werte zu konservieren.
2020. Neues zur Geschichte von Santiago
Erstmalige Veröffentlichung eines Manuskripts aus dem 15. Jahrhundert
So kommt eine weitere Erzählung der Geschichte von Compostela ans Licht. Dier Ausstellung: 900 Jahre Erhebung Santiagos zum Erzbistum wurde von der Kathedrale im Oktober 2020 eröffnet. An der Einweihung teilgenommen haben der Erzbischof der Stadt des Apostels, Monsignore Julián Barrio, wie der Dekan des Cabildo, Segundo Pérez.
Compostelana 1120 bis 2020. Eine Geschichte. Das Erzbistum.
Die Sammlung besteht aus einer Auswahl von Bänden und Texten von großem Wert, die zum Archiv des Seo gehören. Sie können bis zum 31. Dezember 2020 in der Bibliothek und im Kapitelsaal der Kathedrale besichtigt werden, bevor sie schlußendlich dem Museum überführt wird.
Die Sammlung geht insoweit auf das jakobinische Heiligtum ein, als dass die Sammlung den Besucherb eine kleine Auswahl an Materialien bietet, die sich auf die Hauptchronik der Compostela-Geschichte stützt, geschrieben im Rahmen einer, wie es im Artikel formuliert wird, der umfangreichen historischen Reise des Erzbistums. So heißt es dort unter anderem: „Das Dokument, mit dem Papst Calixtus II. das Bistum Santiago de Compostela zu einem Erzbistum / Metropole erhoben hat, wird kopiert.“
Neunhundert Jahre später, am Vorabend des neuen Heiligen Jahres 2021, zeigt das Erzbistum mit besagter Chronik seinen Besuchern neue Aspekte seiner wechselvollen Geschichte.
Die Entdeckung des Grabes, das dem Apostel Santiago um 830 zugeschrieben wurde, hatte letztlich in 1095 dazu geführt, den Bischofssitz von Iria nach Compostela zu verlegen.
Im weiteren Verlauf geht der Autor des Artikels auf das wichtige Wirken von Bischof Diego Gelmírez (1100 – 1139) ein, sowie auf die Dokumente von Papst Calixtus II: Omnipotentis Dei (1120, Februar, 27. Valence oder Omnipotensis disposition). Es handelt sich dabei um einen kopierten Text, dessen Original nicht erhalten ist, der aber der Chronik des Prälaten zufolge der Historia Compostelana, entsprechen soll.
Neben der Erhebung Compostelas (Hauptquartier) zum Erzbistum ist als weitere Grundachse der Ausstellung das Werk selbst zu betrachten, das die Geschichte von Compostela in ihren Forschungen und Ausgaben darstellt. Entworfen im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts, als Bischof Gelmírez persönlich, entsprechend dem Prolog des Buches I, befahl, „den Brauch der alten Väter nachzuahmen“, ihre Aktivitäten in der Geschichte Santiagos einzubinden – also die „gelmirische“ Chronik mit der Fortführung der Compostelana der Jahre 1120 bis 2020.
Die Ausstellung wurde zusammengestellt / in Auftrag gegeben von María Elena Novás und Xosé M. Sánchez. Die technische Leitung obliegt Francisco Buide del Real. Quellen: Auswahl von Bänden und Texten der Archivbibliothek der Kathedrale: Histoire du pape Calixte II (Ulysse Robert; 1891); Compostelana-Geschichte (Francisco A. Espino; letztes Drittel des 19. Jahrhunderts); die Ausgabe des Bulletins Omnipotentis Dei: Geschichte des SAMI , t. IV (Antonio López Ferreiro; 1901); sowie Katalogkarten der Compostelana-Geschichte (20. Jahrhundert); die Arbeit selbst Compostela-Geschichte: Erstausgabe im heiligen Spanien (Enrique Flórez; 1765); Compostelana Geschichte: Ausgabe mit Widmung mss. (Manuel Suárez und José Campelo; 1950); Compostela History: Spanische und lateinische Ausgaben (Emma Falque).
Und als herausragendes Stück das oben beschriebene Manuskript mit einer der Kopien der Compostela-Geschichte aus dem 15. Jahrhundert. Die Gesamtzusammenstellung verdichtet, so der Autor, in perfekter Weise die Bedeutung der Ausstellung.
Der Archivar der Kathedrale, Francisco Buide del Real, ergänzt, dass die Geschichte der Stadt eng mit der Kirche, insbesondere mit dem Erzbistum Santiago, verbunden sei. Für die Ausstellung seien die „edelsten“ Räume der Kathedrale, Bibliothek wie Kapitelsaal, reserviert worden. Parallel zu sehen sei auch das Faksimile des Codex Calixtus. Tenor ds Archivars: Wir versuchen, das Archiv den Menschen in Santiago näher zu bringen. Nicht nur den Einwohnern, füge ich hinzu, auch den Wallfahrern und Pilgern.
Quelle/Hinweis: Unzureichend korrigierte automatische Internetübersetzung des Artikels von El Correo Gallego vom 20. Oktober 2020.
Der säkulare Pilger zur Jakobus-Geschichte
Heute glauben nur noch wenige an die Echtheit der Knochen. Spott breitet sich aus. Allenthalben ist die Jakobus-Geschichte fremd geworden. Man realisiert nicht, dass es ohne das Grab, ohne den Schrein unterhalb des Hochaltars, keinen Camino de Santiago gäbe, keine Jakobswege in Deutschland, Frankreich, Italien, der Schweiz, Österreich, etc. Man setzt das Bestehen des Jakobswegs einfach voraus, schimpft und lästert gar über die katholische Kirche, die sich erdreistet, für die Erlangung der Compostela, der Pilgerurkunde, feste Regeln aufzustellen. Man habe ein Anrecht darauf. Wie dumm.
Als das Grab des Apostels entdeckt wurde, begann das Ende der Reiterheere der Kalifen von Cordoba, auch wenn es sich, was die Halbinsel als Ganzes anbetraf, bis ins 15. Jahrhundert hinzog. Christliche Reiche hatten bis dato den Sarazenen, den Mauren, den moslemischen Heeren ob ihrer Übermacht nichts entgegenzusetzen gehabt; in Spanien nicht, in Süd-Italien nicht, in Nord-Afrika, der Wiege des Christentums, nicht, et ecetera. Der Gedanke, den Paul Badde in seinem Buch Abendland zu Papier bringt, gefällt mir: „Die Gebeine des Apostels waren in Sicherheit gebracht worden, von Jerusalem über Ägypten (Sinai), bis es nicht mehr weiterging, ans Ende der Welt, bei „Finis Terrae“, wie in Vollendung des letzten Missionsauftrages Jesu an seine Apostel. Vor zwölfhundert Jahren kehrte sich Geschichte um, Europa wandelte sich nach der Entdeckung der Gebeine des Jakobus. Compostella wurde zum Wendepunkt des Westens. Spanien, Hispania, hieß damals Jakobsland, eben wegen dieses Sarges, bis hinauf in den hohen Norden Europas.“
Welchem Heiligen kann solche Bedeutung schon zugeschrieben werden? Keinem. Heute mokieren sich Kultur-Christen wie religiös Unmusikalische, historisch-kritische Exegeten ohnehin, über Jakobus den Matamoros. Auch wenn viel Legende hinter der Schlacht von Clavijo stecken mag, Jakobus wird fortan als Retter Spaniens verehrt, gestern wie heute. Ist den Kritikern bewußt, dass Europa nicht auch das gleiche Schicksal, wie es Nordafrika im 6. und 7. Jahrhundert erfuhr, ereilen kann? Auch diese Gebiete wurden weiland zu Europa gezählt, nicht geographisch, vom Wertekanon allemal.
Heute droht uns nicht nur Gefahr seitens des Islam, von außen wie von innen, heute kommt sie von uns selbst. Die Vollendung der uralten Illusion der Selbsterlösung nimmt Fahrt auf; Zarathrusta, die Selbstverwirklichung, tritt an die Stelle des Numinosen; man braucht Gott nicht mehr, setzt sich an seine Stelle. Wer Augen hat, der sieht, wer Ohren hat, der hört, wie Dinge sich entwickeln. Baddes Gesprächspartner in 1991, ein Professor der Patristik (christliche Theologie und Philosophie der Kirchenväter vom 1. bis zum 7. Jahrhundert), deklamiert weiter: Europas Pilgerschaft nach Santiago sei deshalb im Kern ein zähes Ringen gegen eben diese Strategien gewesen, gegen diese Gnosis. Es war die Auseinandersetzung mit der Begrenztheit des Menschen, der sich nicht selbst erlösen kann. Mit dem Menschen, der immer Hilfe jenseits seiner eigenen Möglichkeiten bedarf, der weiß, dass selbst für den Aufbau des Himmlischen Jerusalem nur Sünder zur Verfügung stehen – und nicht etwa eine erleuchtete Elite (Gnostiker). Heutet glaubt jeder längst, was er will: was Jesu Botschaft der Bibel betrifft, er, sie, es glaubt an neue Mythen, an Esoterik, an alten und neuen Geschichtsfälschungen.
Die christlichen Pilger waren kein Sinnsucher, sportiv veranlagt und sich messend waren sie sowieso nicht, wie viele heutige sich modern gebenden Pilger/Wanderer, die gen Santiago den Compostela streben. Für die christlichen Pilger war nicht der Weg das Ziel, sondern die Umkehr, just so, wie es ihnen der Herr gesagt, Jesus Christus es zum Ausdruck gebracht hatte: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium.“ – Markus 1,15.*) Man schaue in das Neue Testament. Jesu Christi-Offenbarung nur auf die voraussetzungslose Liebe zu verengen, ginge fehl. Die Pilger baten um Vergebung, sahen das Himmlische Jerusalem vor Augen; sehr gut dargestellt in der Kathedrale von Burgos, hoch oben im Gewölbe.
Quellen: YouTube-Film The Temple and the Stars, written and Directed by Jesus Sanchez Romeya, Planet Doc, 21.03. 2015. Paul Badde. Abendland. Die Geschichte einer Sehnsucht. fe-medienverlag, 2020.*) Im Kontext der damaligen Zeit hieß dies so viel wie: “ Das Reich Satans ist besiegt! Gottes Herrschaft ist nahe. Kehrt um und glaubt an den Sohn Gottes.“ – Dr. Nina Heereman, YouTube-Podcast MiniKat.