Wie viele andere Pilger auch, hat mich von Anfang an nur der Camino Frances interessiert, der franz.-spanische Weg von St. Jean aus. Nur er zählte. Das aber war ein Trugschluss. Jahre nach unseren Caminos in Spanien und Portugal wurde es endlich Zeit, mich mit dem deutschen Wegenetz zu beschäftigen. Heißt es nicht umsonst: Der Weg beginnt vor deiner Haustür. Haben nicht alle Peregrinos aller Zeiten – bis auf Pilger in den späten 70-ger/80-iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts – zu Hause ihren Weg aufgenommen!
Was lag da näher, diesen Abschnitt des Camino de Santiago nachzuholen. Also zurück zur nahe gelegenen Stadt Bremen, von dort aus den Pilgerweg aufnehmen, genauer gesagt am Dom beginnen resp. auf dem gegenüber liegenden Martkplatz mit dem bekannten Bremer Rathaus. Der mittelalterliche Pilger tat es ja gleichermaßen. Und ihm wollte wollte ich auf seinem Jakobweg schon immer irgendwie folgen. + Und schon kam die Frage auf: War das seit dem 16. Jahrhundert evangelische Bremen (reformiert wie lutherisch) überhaupt ein Ort für Jakobspilger? Wir werden sehen.
Bremen. Ein Ort für Jakobspilger?

Bremen. Marktplatz. Roland Denkmal.
Der Bremer Roland, Anno Domini 1404 vor dem Rathaus errichtet, ist ein Wahrzeichen Bremens und war von Anfang an eine Symbolfigur für Freiheit und Rechte der Stadt.
Das Denkmal, Podest (60 cm) plus Figur (5,47 m) plus Baldachin, ist insgesamt 10,21 m hoch. Damit war es die größte freistehende Plastik des Mittelalters; zudem berühmt wegen seiner „spitzen Knie“: Maßeinheit für eine Bremer Elle; und für den zu seinen Füßen liegenden Krüppel (Foto unten).
Die dazu passende Sage kann dem Internet entnommen werden.
Verehrung des Apostels in Bremen und „umzu“ *)
Zu Zeiten, als Bremen sich noch nicht der Reformation zugewandt hatte, verehrte man auch im Norden der (heutigen) Republik den Apostel als Schutzpatron der Pilger. Das beförderte zudem den Handel mit spanischen Städten. Vera und Hellmut Hell kommentieren in ihrem 1964 herausgekommenen Buch / Bildband Die große Wallfahrt des Mittelalters die Situation in Bremen. Sie sprechen von der seit dem 15. Jahrhundert bezeugten Jakobsbruderschaft zu Bremen, vom Jacobuskult, von der Jakobikirche des 12. Jahrhunderts, gestiftet vom Bremer Bürger Gerhard von der Kemenade; davon, dass die Verehrung des Heiligen gerade bei Kaufleuten und Schiffer aller Hansestädte sehr ausgeprägt war.
Im Zuge der Reformation wurde die Jakobikirche dann 1523 säkularisiert, der Zunftstube des Schmiedeamts zur Verfügung gestellt, im ausgehenden 17. Jahrhundert letztlich aufgrund Baufälligkeit abgerissen.
Nach der Reformation hatte es ohnehin nur noch wenige hiesige Pilger gegeben.
Hier sieht man das im 19 Jh. wieder erbaute neugotische Gotteshaus.

In der Bremen-Neustadt, einem Stadtteil mit einer Bevölkerung aus Arbeitern und Handwerkern, entstand nach Widerständen, aber mit Unterstützung der Inneren Mission 1884 eine eigene, von der Mutterkirche St. Pauli abgelöste, selbständige Gemeinde, die neue St.-Jakobi-Kirche.
*) Redensart in Bremen: drumherum, im Umland, aus der Gegend

Der Apostel Jakobus. Evangelische Kirche in Stuhr bei Bremen.
Reformation. Für Martin Luther waren Pilgerreisen und Wallfahrten Narrenwerk: „Allein aus dem Glauben kommt ein Christ zu Gott und nicht durch das >Geläuff<. Lauf nicht dahin, man weiß nicht, ob Sankt Jakob oder ein toter Hund daliegt“, spottete er über den Pilgerweg nach Santiago de Compostela.
So ist folgerichtig die im Bremer Stadtteil Buntentor stehende oben erwähnte St. Jakobi-Kirche heute protestantisch. Am St. Jakobus Packhaus im Schnoor, dem ältesten Teil Bremens, befindet sich die Skulptur des Jacobus-Major; von den Bremern liebevoll Juxmayor genannt (Fotos unten).
Bibelgarten St. Petri-Dom.
Jacobus als Pilger mit Stab und Trinkgefäß. Auf der Vorderseite des Sockels ist die Jakobsmuschel integriert.
Einmal im Jahr erhält die Statue von der Jacobus-Gesellschaft einen wie hier zu sehenden Blumenschmuck umgehängt. Warum? In 1369 hatte der Magistrat von Bremen in schwerer Zeit gelobt, alljährlich einen Pilger zum Grab des heiligen Jakobus zu entsenden.
Ob das Versprechen heute noch eingehalten wird, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich befürchte, nein. + Wer mehr über die Jakobusfigur im Bibelgarten des Doms lesen möchte, der besorge sich den Artikel im Weser-Kurier vom 10.11.2017 – Der umständliche Weg des Jakobus.

Blick in die Geschichte. 8. Jahrhundert
Der Bremer Dom. Heilige Corona in Bremen.
Kaiser Karl der Große hatte in Sachsen, Osnabrück, Minden, Hildesheim, Paderborn, Münster und eben auch in Bremen für die Gründung mehrerer Bistümer gesorgt.
Willehad, in 787 in Worms zum ersten Bischof Bremens geweiht, konnte am 1. November 789 den ersten Dom zu Bremen zu Ehren des Apostels Petrus einweihen. Wenige Tage später verstarb der Bischof, beigesetzt in seiner Kathedralkirche.
Der hl. Ansgar schaffte es, 860 n. Chr. einen zweiten Dom bauen zu lassen, stolze 32 Meter lang. Die Kirche war zuvor mehrfach zerstört worden.

Bremen mutiert zum Rom des Nordens,
damit zum Wallfahrtsort und Dreh- und Angelpunkt der Missionierung Nordeuropas, schlichtweg bedingt durch die Reliquien der hll. Ärzte Cosmas und Damian *), wie anderer Heiliger und der Märtyrerin Corona (160 – 177), die Erzbischof Adaldag A.D. 965 (geb. um 900, gest. am 28. April 988 in Bremen) von seiner Reise nach Italien mitgebracht hatte. + Nach einem Brand in 1089 schälte sich im wesentlichen der heutige Dom heraus, romanisch / gotisch.
Die Reformatoren haben sich, so kann gesagt werden, nicht mit Ruhm bekleckert. Aus konfessionellen Gründen heraus wurde der Dom mehrfach für Gottesdienste geschlossen. Zunächst gewannen die Reformierten die Oberhand, nach dem 30-jährigen Krieg 1618- .48 wendete sich 1654 das Blatt zugunsten der Lutheraner.
Die Katholiken, vor allem Zugezogene,
hatten für lange Zeit in Bremen nichts zu lachen.
Sie waren nur geduldet. Erst 1816 gelang es ihnen, die zwischenzeitlich von Napoleons Truppen mißbrauchte ehemalige Franziskanerkirche St. Johann zu reaktivieren. Von der immer wieder gerne von liberalen Bremern ins Spiel gebrachten ökumenischen Gastfreundschaft kann überhaupt nicht ausgegangen werden.
Noch bis in die Fünfziger Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg hatten es katholische Arbeitnehmer schwer, im evangelischen Bremen bei einem evangelischen Arbeitgeber einen Job zu bekommen. So war es nur folgerichtig, dass ein lange bestehendes katholisches Bremer Bekleidungsunternehmen diesen Makel behob. Bei meinem Vater bewarben sich, ebenso folgerichtig, gerne katholische Handwerker, allerdings war auch ein „Evangele“ dabei, er war wohl besonderns qualifiziert gewesen. + Fünfzig Jahre zuvor: Ein Verwandter erzählte, dass er auf seinen sonntäglichen Kirchgängen von der Bremer Innenstadt in die Bremer Neustadt tunlicherweise das katholische Gesangbuch in seiner Jacke zu verstecken hatte, wollte er nicht verprügelt werden; wir sprechen von 1910er Jahren.
*) Der Reliquienschrein der Zwillinge Cosmas und Damian (3. Jh.) befindet sich in der Jesuitenkirche St. Michael in München.
Fotos vom Dom. Frontseite: lks. der gekreuzigte Christus, daneben Jesus als Pantokrator / Weltenherrscher, wie im MIttelalter üblich; rechts aussen Kaiser Karl der Große; daneben Innenbereich: Maria mit dem Kind und die Jünger, sowie links außen der Gekreuzigte.
Zu Fuß von Bremens guter Stube aus
Bremens gute Stube. So nennt der Bremer seinen Marktplatz samt Roland, Rathaus und angrenzendem Schütting, Sitz der Bremischen Kaufmannschaft und der Handelskammer Bremen.

St. Petrus. Stadtpatron Bremens. Fragment einer Steinplastik am Schütting am Marktplatz – um 1480.
Hier an dieser Stelle wird der traditionsbewusste, spätmittelalterliche Fuß-Pilger seinen Camino nach Compostell begonnen haben, nur wenige Meter vom St.-Petri-Dom bzw. von der Martinikirche entfernt.
Ganz sicher wird er nochmal zum Dom gegangen sein, nachdem er tags zuvor schon von seiner Gemeinde in aller Form im Rahmen einer Heiligen Eucharistiefeier / Messe verabschiedet worden war, und einen letzten Blick auf die dort befindliche Statue des Apostels geworfen haben: Sankt Jacobus als Pilger.
Mit Kraft und Zuversicht schritt er sodann über die Weser hinweg gen Wildeshausen, Osnabrück bis nach Köln. Der Kölner Dom mit seinem Dreikönigsschrein war das erste große Highlight. Mein Weg soll mich erstmal bis Osnabrück führen.
Dreitausend Kilometer
von Bremen bis nach Santiago de Compostela
Eine Wahnsinnsstrecke für die Fuß-Pilger jener Zeit. Mit wenig Geld und wenig Kleidung diese über Monate dauernde Mammutstrecke bewältigen, wissend, dass jederzeit der Weg für längere Zeit durch Krankheiten und Überfällen unterbrochen, wenn nicht durch den Tod beendet werden kann; das konnte nur mit absolutem Gottvertrauen geschafft werden. + Im weiteren Verlauf versuche ich, mich mit meinem Weg in die Welt des mittelalterlichen Pilgers hineinzuversetzen. Ob es gelingt?
Die nachstehend aufgeführten Pilgerwegskilometer können nicht den heute üblichen Straßenkilometern gleichgesetzt werden. Sie differieren sehr stark. + So beträgt die Entfernung Bremen nach Osnabrück via Autobahn rund 120 km, via Pilgerweg jedoch 190 km. Der Navigator berechnet für die Gesamtstrecke Bremen bis Santiago de Compostela ca. 2.300 km. Und so macht das Pilgerschild an der Hamburger Jakobikirche >Hamburg – Santiago mit 2.500 km< wieder Sinn.
Teilstrecken Bremen — Santiago de Compostela:
ca. 3.060 km
- Bremen, St. Petri-Dom (Marktplatz, Rolandstatue) nach Osnabrück: 190 km: Barrien, Wildeshausen, Visbeck, Vechta, Steinfeld, Vörden, Engter.
- Osnabrück – Trier: 500 km: Münster, Lünen, Dortmund, Wuppertal, Köln, Bonn, Bad Münstereifel, Schengen.
- 3-Länder-Eck/Trier – Vézelay (Frankreich): 520 km: Metz, Colombey-les-Deux-Eglises, Auxerre.
- Vézelay – St. Jean Pied-de-Port: 1.050 km: Nevers, Limoges, Périgueux, Mont-de-Marsania.
- St.-Jean-Pied-de-Port – Santiago de Compostela: 800 km Pyrenäen, Navarra, Rioja, Kastilien-León, Meseta / Tierras de Campo, Land der Maragatos, Montes de León, Camino duro, O Cebreiro, Galicien.
Erinnerungen werden wach. Oktober 2025.
Jakobus-Statue. Rückseite Martinikirche, Bremen-Innenstadt
Oktober 2025. Wehmut kommt auf. Betrachte die Jakobusfigur an der Martinikirche; ihr engagierter Pastor deutschlandweit bekannt, großer Zulauf zu den Gottesdiensten, kein großer Freund des Katholizismus. + Muss zurück vom Garagenplatz über die Weser-Brücken zur Praxis – nahezu identisch mit der Eröffnungsstrecke des Jakobsweges von Stadt-Mitte mit Dom, Marktplatz, Rathaus und / oder eben der nur wenige Schritte entfernten Jakobusfigur mit Hut, Umhang, Wanderstab und Kalebasse, bis zur Kleinen Weser, links vom Fluss den Weg hinunter, auf der rechten Seite das RKK Bremen. +
Mehr als acht Jahre sind vergangen, seit dem ich um Pfingsten 2017 herum mich aufmachte, den deutschen Jakobsweg, zumindest in Teilstücken, kennenzulernen von Bremen nach Osnabrück.

Fotos aus Oktober 2025
Fotos Jakobsweg Sommer 2017
FORTSETZUNG FOLGT