Männer Gottes. Dominikus. Johannes von Ortega. Wir profitieren noch heute. Essay J.A. Gonzales Sainz.
Fotos. Aussenfassade Kathedrale Santo Domingo de la Calzadada. Ausgangs Burgos mit der Inschrift: Domingo de la Calzada. Ingeniero del Camino.
Wer aufmerksam des Weges geht, einen Blick für das Wesentliche hat, der wird ausgangs Burgos auf die Statue des heiligen Dominikus stoßen, besser bekannt unter seinem spanischen Namen Santo Domingo de la Calzada, sich unwillkürlich auch an die Geschichte vom Hühnerkäfig in der Kathedrale des gleichnamigen Orts erinnern.
Die Story vom Hühnerkäfig kennt jeder, wohl weniger die Version vom französischen Toulouse oder die vom portugiesischen Barcelos am Caminho Portugues; alle beanspruchen die Authentizität des wirklich Geschehenen.
Santo Domingo ausschließlich mit dem Hühnerwunder in Verbindung zu bringen, ist natürlich Unsinn. Dominikus ist – wie sein Schüler Juan de Ortega – die faszinierende Persönlichkeit des 11./12. Jahrhunderts schlechthin, sein Name unabänderlich mit dem Camino Frances verbunden.
Wie Juan de Ortega ein toller Brückenkonstrukteur. In der heutigen Zeit Brücken wie Kathedralen mit dem Computer zu entwerfen, ist vergleichsweise simpel. Als Brückenbauer nahmen beide – nomen est omen – ihre Berufung als Männer Gottes ernst, bauten nicht nur profane Brücken für die Pilger, nein, sie schlugen Brücken zu den Pilgern, zu den Gläubigen, feierten mit ihnen die Heilige Messe, trösteten sie, gaben ihnen Brot und ausreichend zu trinken. Sie hielten sich, sehr wahrscheinlich intuitiv, an das, was Papst Calixtus II., der Pontifex maximus (oberster Brückenbauer), in seinem Liber Sancti Jacobi als eigentliche Motivation des Pilgers postulierte:
- Der Weg des Pilgers sei für den Rechtschaffenen die Absage an Laster, die Abtötung des Leibes, die Vergebung der Sünden, die Buße der Büßer, der Weg der Gerechten, die Liebe der Heiligen, die Hoffnung der Auferstehung und der Lohn der Seligen, die Abwendung von der Hölle und die Versöhnung mit dem Himmel.
- Der wahre Pilger teile mit den Armen und den bedürftigen Pilgern. Die das nicht täten, seien keine echten Pilger – sondern Diebe und Banditen Gottes. Im weiteren Verlauf seiner Predigt verweist der Papst auf die Apostel, die weiland von Jesus ja ohne Geld auf die Missionsreise geschickt worden seien.
Und genau das lebten sie den Pilgern ihrer Zeit vor. Bemerkenswert aufopferungsbereite Heilige, keine „Wohlfühlkleriker“. Keine Mainstreampriester resp. -ordensleute; man denkt da unwillkürlich an so manche heutige Franziskaner, Jesuiten und Benediktiner.
Vita Santo Domingo de la Calzada
Dem heiligen Dominikus, geboren 1019 als Domingo Garcia in Viloria de Rioja, schreibt man neben der Stadtgründung (Bau des Pilgerhospitals) im 11. Jahrhundert unter anderem den Bau der Brücke (1044) über den Fluß Oja zu, kurz hinter dem Ortsausgang Richtung Belorado gelegen, ebenso die Befestigung der Wegstrecke zwischen Najera und Redecilla. Er grundierte Straßen und Wege, baute Brücken, versorgte Pilger, linderte ihre Leiden, machte Ländereien fruchtbar.
Domingo muß ein einfacher Mann gewesen sein. Seine Kindheit verbrachte er als Schäfer, wurde dann Schüler im riojanischen Benediktinerkloster von Valbanera. Wie später das Kloster San Millan de Yuso lehnte Valbanera sein Ansinnen auf Eintritt als Mönch ab – seines minderen Bildungsstandes wegen. Man sollte ergänzen, daß beide Klöster eng miteinander verbunden waren. Ein Eremit kam ihm zu Hilfe, nahm ihn zunächst auf. Später soll der heilige Kardinalbischof Gregor von Ostia seine Betreuung übernommen und ihn zum Priester geweiht haben, so erwähnt es ein Marinaeus Siculus 1530 in seinem De Rebus Hispanie memorabilibus.
Als Ursprung des Ortes Santo Domingo de la Calzada kann, wie erwähnt, der Bau seines Pilgerhospitals in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts gelten. Domingo selbst betreute und versorgte die vorbeiziehenden Peregrinos. Nur 1,6 Fußkilometer nördlich von der Kathedrale entfernt befindet sich die Ermita Mesa del Santo, die Kapelle „Tisch des Heiligen“. An jenem Ort, wo sich jetzt die Ermita befindet, verteilte Dominikus, also noch vor dem Bau des Pilgerhospitals, auf einer Wiese am Fluß Essen unter den Pilgern. Heute sollen dort noch sechs mächtige Steineichen als Reste eines größeren Waldes stehen.
Rechtlich abgesichert wurde Domingos Lebenswerk durch König Alfons VI., der ihn hier 1076 besuchte, seine Taten bewunderte und ihm in Folge den nötigen Grund und Boden übertrug. Die Ortschaft wuchs kräftig. Am 12. Mai 1109 verstarb der Heilige. Die Ortschaft trug mittlerweile den Namen Burgo de Santo Domingo. Auch nach seinem Tod hörte San Domingo nicht auf, die Pilger zu beschützen. Mehrere Mirakel werden seinem posthumen Wirken zugesprochen: beispielsweise einem französischen Pilger, den er vom schlechten Geist befreite, einem deutschen Pilger namens Bernard, dem er Ende des 14. Jahrhunderts sein Augenlicht wiedergab.
Fotos: Der hilfsbereite Santo Domingo. Pilgerstatue ausgangs des Ortes.
Vita San Juan de Ortega
Kirche des Heiligen Juan von Ortega. Leider an diesem Pilgertag in den Vormittagsstunden geschlossen. Johannes Quintanaortuno (1080-1163), war ein Schüler von Domingo, also ein Diener Gottes.
Seine ersten Brücken, gebaut mit Unterstützung von König Alfons VI., von Logroño und Najera ersparten den Pilgern des 11. Jahrhunderts mindestens drei Tage Gehzeit.
Der legendäre Kampf zwischen Roland und Ferragut soll an der Brücke von Najera, der Brücke des San Juan, stattgefunden haben. 1866 wurde die alte Brücke durch eine neue ersetzt und in 2003 verbreitert. Eine original erhaltene Brücke steht bei Ages. Auch soll er für den Bau der Straße von Ages nach Atapuerca verantwortlich sein. Königin Isabella die Katholische ließ 1474 ihm zu Ehren ein prachtvolles Grabmal bauen. Es befindet sich in der Klosterkirche von San Juan de Ortega. Aus Dank dafür, dass sie, die zunächst als unfruchtbar galt, nach ihrem Besuch schwanger wurde.
Juan de Quintana Ortuno, Sohn des Ritters Vela Velazque, lernte als 15jähriger den 75 Jahre alten Dominikus in Burgos kennen. Nach seiner Priesterweihe schloß sich der adlige Sproß Dominikus an, unterstützte mit ihm gemeinsam die Hilflosen und Armen. Nach Dominikus` Tod am 12. Mai 1109 pilgerte er zu den heiligen Stätten der Christenheit. Der Legende nach rettete ihn auf der Rücktour der heilige Nikolaus von Bari nach einem Schiffbruch. Als Dank und zu Nikolaus` Ehren errichtete er sodann am Pilgerweg in der Wildnis der Montes de Oca eine Kirche für die Armen und Verfolgten, ebenso für seine Schüler und für die Pilger ein Refugium, eine Herberge. Dort gründete er mit seinen Neffen die Gemeinschaft der Regularkanoniker (Mitglieder einer Stiftskirche) des heiligen Augustinus.
Nachdem sein Vermögen, das er für seine Vorhaben eingesetzt hatte, verbraucht war, er den Pilgern und Armen nicht mehr helfen konnte, füllte ihm der Herrgott der Legende nach die Truhen mit Brot, um alle versorgen zu können. San Juan erfreute sich der besonderen Unterstützung von König Alfons VII. von Kastilien (1126-1157), der ihn mit größeren Ländereien im Gebiet der Montes de Oca bedachte, um den Armen vor Christo zu helfen. Juan starb am 2. Juni 1163 in Ortega, nachdem er zuvor in Najera schwer erkrankt war. An seinem Grab sollen viele Wunder geschehen sein. Quelle u.a.: Robert Plötz. Pilgerheilige und ihre Memoria. Abschnitt Santo Domingo des la Calzada. Narr-Francke Attempto Verlag, Tübingen, 2012.
Lichtspiel des Weihnachtszyklus in San Juan de Ortega
Zweimal im Jahr zur Tagundnachtgleiche, Fachausdruck Äquinoktium *), am 21. März und am 27. September wiederholt sich das Wunder des zehnminütigen Lichts – eine architektonische Meisterleistung des Mittelalters.
Um 17Uhr beleuchtet ein Lichtstrahl das Kapitell links neben der Apsis: Zunächst die Verkündigungsszene (Erzengel Gabriel kniet vor Maria); danach wandert der Lichtstrahl über den Besuch der Jungfrau bei ihrer Cousine Elisabeth (beide umarmen sich, Elisabeth legt dabei ihre linke Hand auf Marias Bauch) zum Höhepunkt des Zyklus` der Darstellung der Geburt Jesu Christi in Einzelheiten, inklusive der Hebammen Zelomi und Salome.
Er endet mit der Szene der Verkündigung an die Hirten; zu sehen ist ein Hirte mit spitzer Mütze und Wollgewand, der mit dem rechten Zeigefinger auf den Stern und das Jesuskindlein weist.
*) TAGUNDNACHTGLEICHE – ÄQUINOKTIUM. Bei der Tagundnachtgleiche, Fachausdruck Äquinoktium, handelt es sich um den astronomischen Frühjahrsbeginn um den 20. März jeden Jahres und um den astronomischen Herbstbeginn um den 23. September jeden Jahres. Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. ist auf dieses Phänomen im Rahmen seiner Jesus von Nazareth-Trilogie aus 2012 eingegangen, genauer gesagt auf das Kommen der Weisen (Hl. 3 Könige) aus dem Morgenland; er behandelt dort den historischen und geographischen Rahmen der Erzählung, wie die damalige Sternkonstellation, also auf die wahrscheinliche Konjunktion der Planeten Jupiter, Saturn und Mars; ggfs. in Verbindung mit einer Supernova.
Essay J.A. Gonzales Sainz
Diese Erzählung berührt mich so sehr, dass ich sie auch an dieser Stelle bringe, weil sie auch hierher nach San Juan de Ortega gehört, weil sie so schön zum Ausdruck bringt, dass Stand, Beruf, Geschlecht nahezu keine Rolle auf dem Camino einnehmen. Autor und Quelle: s.u.
Zwei Protagonisten, unterschiedlicher sie nicht sein können, kommen vor der Kirche von San Juan de Ortega ins Gespräch. Sie eine Top-Managerin, er ein Angestellter, ein Durchschnittsbürger. Ohne der Geschichte vorgreifen zu wollen, sie lohnt es, in Gänze gelesen zu werden, thematisiert sie doch sehr das von Anton Pombo angesprochene Faszinosum, dass back home erfolgreiche Manager sich auf dem Camino wohlfühlen, dort auch ihre Probleme reflektieren.
Bewegend wie Gonzalez Sainz die Geschichte einläutet. 23. September. Tag der Vollkommenheit, der Reinheit, mit der der Lichtstrahl am Morgen die Tagundnachtgleiche durch das Fenster der Kirche fallen läßt auf „Mariä Verkündigung“ mit Gabriel, dem Verkündigungsengel: Begegnung und Erfüllung. Schwärmend fügt er hinzu, dass Hände wie Gesichter eine unglaubliche Ausdruckskraft besäßen: Verkündigung der Vollkommenheit und Verheißung einer denkwürdigen Gabe. Unglaublich toll formuliert. Ein außergewöhnlicher Schriftsteller halt.
Eine äußerst erfolgreiche und kühl bis kalt agierende Managerin …
… verliebt sich geradezu in die Einfachheit des Pilgerns – auf dem Camino Frances gen Santiago de Compostela. “In den einfachsten Herbergen“, fuhr sie jetzt mit einer merkwürdigen Fröhlichkeit fort, „stellt man dir eine Pritsche zur Verfügung.“ Freundlich aber bestimmt werde sie zugewiesen, ohne Widerspruch akzeptiert. Man dürfe Waschräume und Toiletten benutzen; eine Nacht Unterschlupf, Schutz vor Kälte oder Hitze, geschundene Füße pflegen, morgens ein kleines Frühstück zu sich nehmen, danach wieder der gleiche Trott, das gleiche Ritual: sich wieder auf den Weg machen, Ruhe finden, wohltuende Ruhe für die im Leben gebeutelten – auf tausenderlei Arten – verlorenen Seelen. Wer mag, findet Gesellschaft, findet Stille, wie auf dem Weitermarsch am nächsten Tag.
„Wissen Sie, mein Leben lang erreiche ich alles, indem ich es befehle, klipp und klar, denn ich verfüge über genügend Mittel und Unmengen von Mitarbeitern, und die Ziele, die ich verfolge, zeigen mir, wenn sie erreicht sind, neue auf. Doch hier suche ich genau das Gegenteil: über nichts zu verfügen, nicht zu befehlen, ohne Abhängigkeiten oder Hast, ohne Überfluß, Berechnung, Interessen oder Luxus.“ –
Traum? Ja. Wunschvorstellung? Ja. Realität? Ja, manchmal.
Quelle: Erzählungen, Gedichte, Essays und Erinnerungen … von fünfundzwanzig spanischen Autoren des Zeitraumes 2010/2017; allesamt Träger des El Premio Castilla y León de las Letras (Preis für Briefe). Erstausgabe 2010, deutsche Übersetzung Verlag Ludwig, Kiel 2017.
Einführung. Das Jakobsland – die autonome Region Kastilien-Leon – macht mehr als die Hälfte des 800 km langen Pilgerwegs aus. Die Autoren begeben sich auf Spurensuche nach den Ursprüngen der Pilgerfahrt. Kindheitserinnerungen wie Landeskundliches und Sprachgeschichtliches fließen in die einzelnen Erzählungen ein, wobei der Apostel Jakobus wie Santiago de Compostela eine dominierende Rolle einnehmen – der aktuellen Säkularisierung und dem Massentourismus zum Trotz.