Es begann alles mit einem Traum. Prolog zum Reisebericht Westwärts nach Galicien

Aus dem Prolog Reisebericht „Westwärts nach Galicien dem Schatten nach – Jakobspilger auf den Spuren vergangener Zeitzeugen.

Für die einen ist es ein Eremit, der träumte, für die anderen Karl der Große. Pelagius lebte im 9. Jahrhundert auf der iberischen Halbinsel. Himmlische Zeichen veranlassten ihn, nach dem Apostelgrab des Heiligen Jakobus zu suchen.

Ibaneta. Rolandstein. Roland, Vasall Karls des Großen.

Von Kaiser Karl dem Großen hingegen wird gesagt, er habe im Traum den Auftrag erhalten, die Sarazenen, die moslemische Besatzungsmacht, zu vertreiben. Sein Ziel war, das Jakobusgrab wieder allen Christen zugänglich zu machen.

Jakobus` Evangelisierungsversuche auf spanischem Boden sind offensichtlich nicht sehr erfolgreich gewesen. So kehrte er rasch nach Jerusalem zurück. Als erster Apostel erlitt er um 43 Anno Domini das Martyrium. Herodes Agrippa I. ließ ihn enthaupten, vgl. Apg 12,1-2. Jakobus zählte zusammen mit seinem Bruder Johannes und Simon Petrus zu den erstberufenen Lieblingsjüngern Jesu. Obwohl sein enthaupteter Leib nicht begraben werden durfte, konnte, der Legende zufolge, sein Leichnam gerettet werden. Engel führten ihn zurück übers Meer nach Spanien ins römisch-galizische Iria Flavia, heute Padron, bis er schließlich seinen letzten Weg in einem Ochsenkarren zum Ort des heutigen Santiago nahm.

Das Grab—Friedhof—Compostum—Compostela— geriet dann jahrhundertelang in Vergessenheit, bis eben Pelagius, man vermutet zwischen 818 bis 834 Anno Domini, Bischof Theodemir von seiner von seiner Licht-erscheinung erzählte. König Alfons II. (791-842) ließ dort sogleich eine Kirche erbauen. Im Jahre 997 A.D. wurden Stadt und Kathedrale kom-plett zerstört — von Almansor, dem Heerführer des moslemisch Kalifen. Wie durch ein Wunder blieb das Grab des heiligen Jakob selbst, des Sant`iago, unversehrt. Ob aus Skrupel oder Respekt vor dem Toten, es ist nicht überliefert. Das hinderte den Heerführer nicht, mehrere Tausend Christen zu versklaven. Sie wurden von ihm gezwungen, die Dom-Glocken nach Cordoba zu schleppen — quer über die iberische Halbinsel zur Residenz des Kalifen, um sie dort zu Lampen seiner Moschee umschmelzen zu lassen. Almansor unternahm über 50 Feldzüge gegen das christliche Nordspanien, er eroberte unter anderen die Städte Zamora und León, plünderte Barcelona und verwüstete Coimbra.

Mythos tolerante Mauren

Bei näherer Betrachtung ist der vor allem seit dem 19. Jahrhundert tradierte Mythos von den toleranten Mauren /Moslems nicht mehr haltbar. Juden wie Christen mussten der Unterscheidung wegen einen speziellen Gürtel tragen, den zunnar; von den anderen ihnen auferlegten Drangsalen und Erniedrigungen ganz zu schweigen wie Kopfsteuer; Zwangskonversionen; Kreuzigungen in Cordoba; Enthauptungen in Toledo, Barcelona; Hinrichtungen durch Erhängen in Granada, etc. Erst nach der Rückeroberung (spanisch: Reconquista) Cordobas im Jahre 1237 A.D. kehrte allmählich Ruhe ein.

Großen Einfluss auf die einsetzende Pilgerschaft

wird dem IV. (V.) Buch des Liber Sancti Jacobi zugeschrieben, auch Codex Calixtus genannt, weil man zunächst Papst Calixtinus II. (1119-1124) als Verfasser vermu-tete. Das Buch beginnt mit einer langen Predigt (Veneranda dies) des Papstes zu Ehren des Heiligen und seiner Translation. Der Pilgerführer beschreibt in mehreren Kapiteln sehr kenntnisreich und detailliert u. a. Wege nach Santiago, Tagesstrecken, Namen der an diesem Weg gelegenen Orte, die drei guten Pilgerhospize der Welt, Namen der Straßenbau-er des Heiligen Jakobus, schlechte und gute Wasser am Pilgerweg, Eigenschaften der Länder und Völker entlang der Pilgerstraße, heilige Reli-quienstätten, Beschaffenheit der Stadt Compostela und ausgesprochen ausführlich und detailgenau die Basilika des Jakobus wie Maße der Kir-che, Anzahl der Fenster, alle Portale, Altäre, etc., und nicht zuletzt die würdige Aufnahme der Jakobspilger in der Stadt.

Neben Aymeric Picaud, dem französischen Gelehrten, der wohl 1130 Anno Domini den Liber Sancti Jacobi zusammengestellt hat, sind besonders zu nennen der deutsche Hermann Künig von Vach mit seinem Pilgerführer Die walfart und straß zu sant Jacob aus 1495, Ritter Arnold von Harff vom Nieder-rhein, der 1499 als 27-jähriger von seiner Pilgerfahrt berichtete, die ihn zunächst nach Rom und Jerusalem geführt hatte, sowie Domenico Laffi, einem italienischen Geistlichen und Reiseschriftsteller, der dreimal, zuletzt 1673 von Bologna aus aufbrach. Er nannte seinen Bericht: Reise nach Westen – von Bologna nach Santiago (di Galitia) und Finisterra. Das mittelalterliche Lied Wer das elent bawen wel aus dem 13. Jahr-hundert hat sich als gesungener Leitfaden bis heute erhalten. Es vertont in eindrucksvoller Weise die im Ausland, dem elent, erlebten Gefahren, geht auf die notwendige Ausrüstung des Pilgers ein, thematisiert die sprachlichen Barrieren wie auch die schönen Landschaften.

Liber Sancti Jacobi, 12. Jh.
IV. Buch des heiligen Apostels Jakobus. Vorwort des seligen Papstes Calixtinus

Wenn der gebildete Leser in unseren Werken die Wahrheit sucht, wird er sie in diesen Blättern bedenkenlos und ohne Zögern finden, denn was hier geschrieben ist, bezeugen viele, die noch leben, als wahr. 3

In den nächsten Wochen, so unser Ziel,

wollen wir den Pilgern dieser Epoche nachspüren, uns inspirieren lassen. Sie lebten in einer spannenden Zeit, keinesfalls in einer nur dunklen. Der Investiturstreit zwischen Papst und Kaiser, heute als das Element der vormodernen Gewaltentrennung betrachtet, wurde 1122 A.D. ebenso beigelegt, wie die dem englischen König 1215 abgetrotzte Magna Charta den Rechtsstaat begründete. Die ersten in Bologna (1088) und Paris (1160) gegründeten Universitäten haben bis heute ihren Ruf erhalten. Die erste deutschsprachige Uni machte 1348 in Prag die Türen auf, gefördert von Papst Clemens VI. Hier wurden die Sieben Freien Künste u.a. des Rechts, der Medizin und der Theologie gelehrt.

Protagonisten dieser Ausrichtung: Anselm von Canterbury (1033-1109), der Universalgelehrte Albertus Magnus (1193-1280), sein Schüler, Kirchenlehrer Thomas von Aquin (1225-1274), Bonaventura (1221-1274), einer der bedeutendsten Philo-sophen und Theologen der Scholastik, Bewunderer des hl. Franziskus von Assisi (1181-1226), aber auch Mystiker vom Range eines Meister Eckhart (1260-1328) oder einer Katharina von Siena, Patronin Europas (1347-1380).

Sie alle stehen für ein ausgesprochen hell leuchtendes Hochmittelalter, ebenso wie eine Teresa von Avila, die zwei Jahrhunderte später in Spanien mit ihrem Buch Die innere Burg ein Meisterwerk der Weltliteratur entstehen ließ. Die große Mystikerin und Neuordnerin des Karmeliterordens offenbart im Bild der Burg einen praktischen Weg zur Einheit mit dem Göttlichen. Die ideale Reiselektüre für den nachdenklichen Jakobspilger.

Der Jakobsweg übt eine ungebrochene Faszination aus.

Millionen Menschen gingen den Weg. Millionen werden es weiterhin tun. Sie kommen aus Europa, von Übersee. Viele sehen in dem Jakobusweg den eigentlichen Vorläufer der Einheit Europas. Niemand kann diesen Weg vergessen, ob er nun des Wanderns wegen gekommen ist oder weil er sich an die Worte des Erzbischofs von Santiago, Julian Barrio Barrio, anlehnt, die dieser in einem Brief zum Compostelanischen Jahr zu Papier gebracht hat: „So ist der Weg nach Santiago für den, der im Geist und in der Wahrheit pilgert, ein geeigneter Ort, um mit Gott ins Gespräch zu kommen; er ist ein Zeichen, das ihm hilft, sich von Gott geschaffen durch Christus befreit zu fühlen, und er ist eine Erfahrung, in der der Pilger lernt, zu geben und zu empfangen.“ 10

Das Bischöfliche Ordinariat der Diözese Rottenburg–Stuttgart schreibt im Vorwort: „Allen, denen die prägende Kraft der Pilgerschaft auf dem Jakobsweg mehr bedeutet als bloßes Sich-Bewegen in einem europäi-schen Wegenetz, ist dieser Pastoralbrief zu empfehlen als Handrei-chung, um zur >größeren Wahrheit< des Jakobsweges und des Pilgerns überhaupt zu finden und das christliche Profil als eine >Existenz des Unterwegsseins< zu schärfen.“ 10

Buen Camino. Deus aia nos y Sant`iago.

Wer das elent bawen wel, der heb sich auf und sei mein gesel, wol auf sant Jacobs straßen!
Zwei par schuaoch der darf er wol, ein schüßel bei der flaschen. 2. Ein braiten huot den sol er han und an Mantel sol er nit gan, mit Leder wol besezet, es schnei oder regn oder wähe der wint, daß in die luft nicht nezet. 3. Sack und stab ist auch darbei, er luog, daß er gebeichtet sei, gebeichtet und gebüßet! Kumt er in die welschen lant, er findt kein tuetschen priester. 4. Ein teutschen priester findt er wohl, er waiß nit wo er sterben sol oder sein leben laßen, stirbt er in dem welschen lant, man grebt ihn bei der straßen
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Airport Bilbao, 18:00 Uhr. Geduldig stehen Elke und ich am Laufband. Erst morgen wird es nämlich richtig losgehen, in den Pyrenäen, in St.-Jean-Pied-de-Port, gute achthundert Kilometer bis Santiago. „Irgendwann werden die Rucksäcke kommen“, reden wir uns ein, „die kommen bestimmt noch, sie müssen kommen.“ Mit diesen Gedanken sind wir nicht allein. Es hat gleichermaßen Florian aus Potsdam und ein Arztehepaar aus Oldenburg getroffen: stehen alle ohne Gepäck da. Fühlen uns solidarisch.

Was folgt, ist wahrlich kein Ruhmesblatt für den Carrier Air Berlin, für die Reisebüros, und für die Damen von Lost and Found im Flughafen auch nicht. Keiner fühlt sich zuständig. Unzählige Mobilfunkgespräche aller belegen es. Etwas ratlos besteigen wir den Shuttle-bus Richtung City/Busbahnhof; das Hotel liegt nur wenige Minuten entfernt. Die Oldenburger, die eigentlich weiter nach Logroño wollen, begleiten uns, checken ein; Florian geht zur Herberge. Nach einigem Hin und Her übernimmt netterweise der Rezeptionist die Regie, und schon klappt alles.

Die Rucksäcke werden tatsächlich einen Tag später mit der gleichen Nachmittagsmaschine kommen, unbeschädigt. Fünf Menschen sind glücklich, freuen sich, allerdings nicht darüber, dass an diesem Montag auch das berühmte Guggenheim Museum Bilbao geschlossen ist.

Bilbao. Guggenheim-Museum. Foto aus 2012. Ein spektakulärer Bau aus Titan, Glas und Kalkstein, ein Prototyp avantgardistischer Architektur des 20. Jhs. weltweit. Das bekannteste Guggenheim steht in New York, gegründet 1937 von Solomon R. Guggenheim, einem Spross einer der reichsten Familien der USA.

Sein jüngerer Bruder Benjamin ist in die Geschichte eingegangen mit den Worten „Wir sind angemessen gekleidet und bereit, wie Gentlemen unterzugehen“ – gerichtet am 15. April 1912 an ein Crew-Mitglied der Titanic, kurz bevor das Schiff im im Atlantik versank, zusammen mit ihm und seinem Butler in bester Abendkleidung gewandet. Anderen Passagieren hatte er zuvor selbstlos beim Einstieg in die Rettungsboote geholfen.

Die walfart und straß zu sant Jacob – Hermann Künig von Vach, 1495
Der älteste deutsche Pilgerführer nach Santiago


Ich Hermannus künig von Vach mit gottes Hulff will mach eyn kleynes Buchelyn das sal sant Jacobs Straß genant sin darinnen ich will leren wege und stege…..1

Rom — Jerusalem — Santiago. Das Pilgertagebuch des Ritters Arnold von Harff (1496-1498). Eintrag des Ritters in Venedig:

Hier traf ich Anstalten, nach dem fernen St. Jakob in Galicien zu ziehen und stattete mich mit Wechseln und anderen notwendigen Dingen aus.

Etappe 1. Chigong in den Pyrenäen. Kultivierung von Körper und Geist.

später mehr

Quellen / Verweise
Mittelalterliche Zeugen / Autoren
Arnold von Harff. Das Pilgerbuch des Ritters Arnold von Harff (1496‐1498). Helmut Brall‐Tuchel und Folker Reichert. Böhlau Verlag Köln Weimar Wien; 3. Auflage 2009.


Domenico Laffi. Aus: Der Jakobsweg. Ein Reiseführer für Pilger. Millan Bravo Lozano, 1998. Turespana.
Domenico Laffi. A Journey to the West; 1670‐73. Translated by James Hall. Xunta de Galica, 1997.
Liber Sancti Jacobi/Codex Calixtinus. Aus: Der Jakobsweg. Ein Pilgerführer aus dem 12. Jh.. Klaus Herbers. Reclam, 2008.
Hermann Künig von Vach. Aus: Die Strass zu Sankt Jakob (1495). Der älteste deutsche Pilgerführer nach Santiago.
Klaus Herbers und Robert Plötz. Jan Thorbecke Verlag, 2004.
Wer das elent bawen wel. Lied der Jakobspilger seit dem 13. Jh.. Aus: Website www.jakobus‐info.de.


Wander‐/Reiseführer / Hinweise
DuMon aktiv. Spanischer Jakobsweg. Dietrich Höllhuber. 4. Auflage 2006.
Outdoor. Spanien: Jakobsweg Camino Frances. Michael Kasper & Michael Moll. Conrad Stein Verlag. 10. Auflage.
Unser Reisebericht fasst die von uns beschriebenen Erlebnisse dreier Pilgerwanderungen der vergangenen Jahre zusammen. Sollten wir dabei die Rechte
genannter oder auch nicht genannter Autoren ungenügend gewürdigt und/oder berücksichtigt haben, erbitten wir schon jetzt Dispens.


Literatur
Julian Barrio Barrio. Erzbischof von Santiago. Pastoralbrief zum Heiligen Compostelanischen Jahr 2010. Deutsche Fassung: Bischöfliches Ordinariat der
Diözese Rottenburg‐Stuttgart.
Paulo Coelho. Auf dem Jakobsweg, 1986/87. Diogenes. Shirley MacLaine. Der Jakobsweg, 1994/2000. Goldmann.
Menschen auf diesem Weg. Gebet aus: Pray – Das Jugendgebetbuch. Veröffentlicht zum XX. Weltjugendtag Köln 2005.
Gebetstext Heil`ger Jakobus. Aus: www.jakobus‐weg.de. Text von Wolfgang Schneller, 1987.
Dietrich Höllhuber, Werner Schäfke. Der Spanische Jakobsweg. Dumont Kunst Reiseführer, 6. aktualisierte Auflage.
Jakobusfreunde Paderborn. www.jakobusfreunde‐paderborn.eu.
Norbert Ohler. Pilgerstab und Jakobsmuschel. Patmos. 2. Auflage 2003.
Pilgerurkunde. Deutsche Übersetzung der Compostela: www.santiago‐online.com.
Gebetstext Segnung der Pilger. Stiftskirche Roncesvalles. Aus: www.jakobus‐info.de.