Die Kunst des richtigen Packens

Weitwanderin Christine Türme aus Berlin: „Luxus ist das, was du nicht tragen musst.“

(Interview in der Welt am Sonntag vom 12. März 2023, Seite 32 Sport; mit Julien Wolff)

Nicht alles, was die Protagonistin empfiehlt, ist auf den normalen Jakobswegpilger übertragbar, zum Beispiel ihr Ansinnen, anstatt einer teuren Markenklamotte die aus einem Müllsack selbstgebastelte Regenhose zu verwenden. Thürmer, die meistgewanderte Frau der der Welt, eigenen Angaben zufolge rund 60.000 Kilometer zu Fuß gewandert, 30.000 km mit dem Rad und 6.500 km mit dem Paddelboot, trennt des überflüssigen Gewichts wegen nicht nur die Etiketten aus der Kleidung, sondern schneidet sogar den Stiel ihrer Zahnbürste ab. Die paar Gramm summierten sich. Ihre Regenjacke kostete sie 7,99 Euro.

Das Goretex-Geschwafel nerve sie, sie subsumiert es unter Marketinglüge. Warum? Die Membranen funktionierten nur unter optimalen Laborbedingungen. Damit der Dampfaustausch klappt, muß es zum Beispiel ein Temperaturgefälle geben zwischen innen – also dort, wo wir schwitzen – und außen. Sobald dieses Temperaturgefälle nicht ideal ist, können Sie es knicken. Im Sommer zum Beispiel. Im Langzeiteinsatz funktioniert eine nicht atmungsaktive Jacke genauso gut oder schlecht wie die Jacke für 400 Euro. – Zitat Ende.

RUCKSACK UND STIEFEL 

Christine Thürmers Basisgepäck beträgt ohne Proviant zwischen fünf (im Sommer) und sechs Kilo im Winter. Ich habe Ausrüstungslisten gesehen, da wird mir schlecht: zwei Mützen, drei Paar lange Unterhosen und so weiter. Ich laufe in Shorts und T-Shirts, alles andere ist im Rucksack. – Zitat Ende.

Wanderstiefel lehne sie ab: eine Riesenmarketinglüge. Auch Lederstiefel würden naß, die Trocknungsphase dauere zu lange, außerdem wirke der Stiefel wie ein Korsett: man belaste immer dieselben Sehnen und Muskeln. Ergo, man bekäme Blasen und ermüde schneller. Sie empfiehlt Trail-Running-Schuhe mit der flexiblen Sohle.

ZUM TEMPO,

dem größten Fehler der Wanderer, merkt sie an, dass die meisten zu schnell liefen. Die Kunst ist nicht, 30 Kilometer an einem Tag zu wandern, die Kunst ist es, das jeden Tag wieder zu tun. So dackele sie zwei bis drei Stundenkilometer durch die Gegend, dafür im Sommer aber 16 Stunden am Tag.

SELBSTFINDUNG AUF DEM CAMINO

Zu guter Letzt hält Christine, die Langstreckenwanderin schlechthin, den sog. Selbstfindern vor Augen: „Wer sich unterwegs selbst finden will, der hat schon verloren.“ – Stellen Sie sich vor, Sie haben ein richtiges Psycho-Päckchen zu tragen. Sie sind zum Beispiel arbeitslos geworden, oder Ihre Frau hat Sie verlassen. Sie sind also eh schon angegriffen. Und dann laufen Sie los, bekommen Blasen an den Füßen, Ihnen geht das Essen aus, die Strecke ist Mist, und Sie kommen nicht zum Schlafen, weil in Ihrem Mehrbettzimmer alle anderen schnarchen. Es kommen also weitere Probleme auf Ihr Psycho-Päckchen drauf. Da machen Sie irgendwann die Grätsche – und brechen Ihre Wanderung ab. Es ist nicht die Frage, ob Sie unterwegs Probleme bekommen. Sondern nur wann. – Zitat Ende.