Navarra. Rolandsdenkmal. Das Epos

Der Camino de Santiago ist nicht nur ein religiöser Pilgerweg, er dokumentiert Europas teils legendenumwobene Geschichte. Gleich zu Beginn des Camino Frances, eigentlich ja auf dem Navarrischen Weg, treffen die Pilger auf einen der größten Europäer vergangener Zeiten, nämlich Kaiser Karl dem Großen, von Franzosen (Charlemagne) wie von Deutschen verehrt.

Rolandsdenkmal 778 – 1967. Puerto de Ibañeta (Col de Roncevaux), 1057 hoch. Hier soll der Legende nach Roland den Tod gefunden haben; vgl. auch 2. Etappe. Das an dieser Stelle von Karl dem Großen gegründete Kloster nebst Hospital, in Dokumenten des 11./12. Jhs. erwähnt, wurde des Öfteren zerstört.

Alexander von Humboldt fand 1801 nur noch aufragende Mauern der S. Salvador-Kirche vor. Der nachfolgende Neubau brannte 1884 durch die Unvorsichtigkeit hier stationierter Soldaten ab.

Bei den Ausgrabungen von 1934 fand man zwei Skelette, die man ihrer besonderen Körpergröße wegen als die von Roland und Olivier (Rolandslied) identifizierte. Ein modernes Denkmal für Karl den Großen und seine zwölf Paladine (adlige Ritter) wurde 1936 zerstört.

Foto: Poyo de Roldan. Ein Ritter mit Schwert Durandal?

Das besondere Interesse der Pilger galt dem Stein, den Roland mit seinem Schwert Durandal gespalten haben soll, als er versuchte, Schwert und Klinge zu zerstören. Um 1140 baute man um diesen Stein herum eine Heilig-Geist-Kapelle, Grablege Rolands. Weiterhin wurden in der Marienbasilika einige Erinnerungstücke des Protagonisten ausgestellt: Jagdhörner, Steigbügel, Streitäxte und sein Schwert. Alexander von Humboldt bestätigte noch 1801 das Vorhandensein seiner vergoldeten Krone.

Foto: Grenzstein Frankreich – Spanien/Navarra.

Unweit der Höhen des Grenzsteins Frankreich/Spanien/Navarra soll einst das Kreuz Karls des Großen gestanden haben. Hier hatte der große Kaiser ein Gebet gesprochen, dem Grabe des Jakobus zugewandt. Somit deklamiert Aymeric (Codex Calixtinus) wohl zu Recht, daß sich hier im 12. Jh. die erste Gebetsstätte des Jakobsweges befunden hätte – später bestückt mit nahezu eintausend Kreuzen. Unten an der Eremitage sind ebenfalls einige Kreuze zu sehen.

An den Denkmälern ist sehr schön zu sehen, dass die Jungfrau und Gottesmutter Maria zu allen Zeiten eine dominierende Rolle bei den Gläubigen und Rittern einnahm.

Poyo de Roldan. Rolandsberg, zwischen Navarrete und Najera gelegen. Der Kampf zwischen Roland, Heerführer Karls des Großen, und dem Riesen Ferragut von der moslemischen Seite soll der Legende zufolge an der Brücke San Juan Ortega in Najera stattgefunden haben, vgl. auch 10. Etappe.

Rolandslied

Deutsche wie Franzosen reklamieren Kaiser Karl den Großen für sich. Die Franzosen und Engländer nennen ihn Charlemagne, die Lateiner Carolus Magnus. Geboren am 2. April 747, regierte er das Fränkische Reich von 768 bis zum 28. Januar 814 (gest. in Aachen). Sein Vorfahre und Großvater Karl Martell (Carolus Macellus – Karl der Hammer; begraben in St. Denis, Paris) rettete das christliche Abendland mit seinem im Jahre 732 bei Tours / Poitiers errungenen Sieg über die moslemischen Sarazenen, die schon den größten Teil Spaniens (Hispania) unterworfen hatten.

So verwundert es nicht, dass König Karl der Große knapp fünfzig Jahre später in 778 dem Hilfeersuchen der moslemischen Statthalter von Barcelona und Girona folgte (beide hatten ihn in Paderborn aufgesucht), gemeinsam gegen Emir Ab dar-Rahman von Cordoba vorzugehen. Die abgesprochene kampflose Übergabe der Stadt Saragossas erfolgte nicht, die moslemischen Herrscher brachen ihr Versprechen. Mehrere parallele Beispiele untermauern diese moslemische Taktik. Hier seien nur von zweien berichtet: von der Schlacht von Lepanto 1571 und  von der Einnahme von Konstantinopel im Jahre 1453. In beiden Fällen hatten die moslemischen, osmanischen Herrscher den Christen freies Geleit versprochen, sie anschließend aber massakriert.

Wie auch immer, Karl musste seinen Spanienfeldzug abbrechen, die Sachsen revoltierten. Bei seinem Rückzug wurde die Nachhut seines Heeres im Gebiet des Pyrenäenortes Roncesvalles, am Cisapass, von aufgebrachten Vaskonen, Vorfahren der heutigen Basken, überfallen.

Das Epos Chanson de Roland

Eremitage. Ibaneta-Pass. Rolandsdenkmal. Kurz vor Roncesvalles.

Und hier beginnt nun das monumentale Epos, die Legende, das Chanson de Roland, das Rolandslied; verfasst um das Jahr 1100 in altfranzösischer Sprache; vom Pfaffen Konrad um 1170 adaptiert und ins Mittelhochdeutsche übertragen und episch ausgeschmückt, insbesondere hinsichtlich des christlichen Grundtons.

Roland, auch Hrotland genannt, Karls Vasall und Heerführer, Chef der Nachhut, wird jetzt zum Lieblingsneffen König Karls und die Basken mutieren zu muslimischen Sarazenen. Rolands Stiefvater Ganelon will sich an Roland rächen, weil dieser ihn bei den Beratungen mit König Karl als Verhandlungsführer für das Gespräch mit dem König von Saragossa, Marsilius, vorgeschlagen hatte.

Marsilius wiederum hatte zuvor dem fränkischen König suggeriert, sich ihm unterwerfen zu wollen und den christlichen Glauben anzunehmen. Von vornherein eine List. Ganelon tut sich mit dem Sarazenen zusammen und verrät seinen König Karl und lässt schlussendlich seinen Stiefsohn Roland stehenden Fußes in einen Hinterhalt geraten. Karl selbst war mit seinem Hauptheer, Ganelon vertrauend, gen Heimat vorangezogen. Rolands engste Getreuen, namentlich Bischof Turpin (Stichwort Codex Calixtinus / Liber Sancti Jacobi) und Olivier, sowie seine gesamte Nachhut sterben auf dem Kriegsfeld durch die Hand der Sarazenen. Roland stirbt gleichermaßen, sein Schicksal sieht aber anders aus.

Aber lesen Sie selbst: Das altfranzösische Rolandslied in der Übersetzung von Wolf Steinsieck aus 1999/2015 und Das Rolandslied des Pfaffen Konrad (Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch) aus 1993/2011, beide Bücher erschienen im Reclam-Verlag. Ich rate jedem, dieses Epos, als das Schlüsselwerk der europäischen Literatur des Mittelalters bezeichnet, nicht mit den heutigem Verstand und Wissen zu lesen. Vertiefen Sie sich in die damalige Zeit, als Christentum und „Staatsgebilde“ eine Einheit darstellten, dann wird man die verstörenden Beschreibungen der kriegerischen Aktivitäten und des Gerichtsurteils am Königshof in Aachen besser verstehen.

Das Rolandslied des Pfaffen Konrad

Vorgeschichte, Zeilen 17 – 27

Karl war der Sohn Pippins. Große Ehre und Gewinn hat der Fürst erkämpft, die wilden Heiden besiegt, so dass sie das wahre Licht erkannten. Vorher hatten sie nicht gewusst, wer ihr Schöpfer ist. Weiter und immer weiter stieg der Kaiser zur Vollkommenheit auf, von der Kindheit zur Reife, von der Reife bis in das Alter.

Ansprache Rolands, Zeilen 5806 –  5828

Roland richtete sich im Sattel auf und sagte: “Wohlan, fromme Franzosen, ich bitte euch im Namen der Liebe des wahren Gottes, fürchtet ihre große Stärke nicht. Es sind die erbärmlichsten Feiglinge. Wenn sie auch mehr Ritter haben, so verleiht uns Gott doch die allergrößte Kraft. Noch heute werden sie zum Schemel unserer Füße. Sie werden einen jämmerlichen Tod finden. Wir werden sie in ihrem Blut zertreten. Auf, tapfere Helden, denkt daran, was euch dafür verheißen ist. Wir wollen die Seele befreien. Wem Gott die Gnade schenkt, für seinen Schöpfer hier zu sterben – das nämlich ist Christus, der um unsertwillen gemartert wurde -, der hat das Kreuz auf sich genommen. Der aber ist endgültig zu königlichen Ehren gekommen, wer seinen Herrn in seiner Gottheit schaut. Dafür lohnt es, dass ihr leidet.“  

Das altfranzösische Rolandslied

Olivier bittet Roland, den Olifant zu blasen, Zeilen 1050 – 1058

Olivier sagte: „Die Heiden haben eine große Heeresmacht, Und ich sehe, dass unsere Franken viel weniger zahlreich sind. Roland, mein Gefährte, so blast doch in Euer Horn: Karl wird es hören, und das Heer wird umkehren.“ Roland antwortete: „Ich würde wie ein Narr handeln Und dadurch im lieblichen Frankreich mein Ansehen verlieren. Ich werde gleich mit Durendal gewaltig zuschlagen, Blutrot wird die Klinge sein, bis hin zum goldenen Stichblatt. Die heidnischen Schurken sind zu ihrem Unheil zu den Pässen gekommen. Ich schwöre Euch, sie sind alle zum Tode verurteilt.“

Zum Abschluss einige erklärende Worte zu den berühmten Utensilien

Der italienische Reiseschriftsteller Domenico Laffi aus dem 17. Jahrhundert sprach  gleichermaßen davon, als er in Roncesvalles Rast einlegte. So nannte Roland sein berühmtes Schwert Durndart (Durendal), sein Pferd Velentich und sein Horn Olifant, das er, obwohl ihm sein Kampfgefährte und Freund Olivier händeringend darum gebeten hatte, viel zu spät blies. Einhards „Vita Karoli Magni“, Geschichtsschreiber Karls des Großen, rundet das geschichtliche Bild ab.

Papst Franziskus sieht Schuld im Rolandslied für religiösen Fundamentalismus heute

Wohlgemerkt, der Heilige Vater sieht den heutigen religiösen Fanatismus ursächlich in den Vorkomminissen des11. Jahrhunderts. – Franziskus bemüht das über 1.000 Jahre fiktive Versepos Chanson de Roland offensichtlich zwecks Relativierung der heutigen religiösen Terroristen. Zumeist sind es Christen und Juden, die weltweit aufgrund ihres Glaubens bedrängt werden.

Das Rolandslied thematisiert die Ereignisse des 8. Jahrhunderts von Roncesvalles, in den Pyrenäen, und dem damit verbundenen heldenhaften Tod des Heerführers Karls des Großen, nämlich Roland. 

Der Papst bezieht sich auf einige fiktive Zeilen eben dieses Heldenepos`, dem Rolandslied (liegt mir zweisprachig in der Reclam-Ausgabe 1999 vor), in dem die Christen die besiegten Moslems zwingen, sich zwischen Taufe und Schwert zu entscheiden. – Was ist mit Zwangskonversionen in den von den Sarazenen besetzten Gebieten Hispanias hin zum Islam; was ist mit Dhimmy-Status, den die moslemischen Besatzer den Christen und Juden auferlegt haben? Die Re-Conquista wurde Anno Domini 1492 – nach über 780 Jahren maurischer Besatzung – final beendet durch die katholischen Könige Spaniens.

  • Papst Franziskus: „Seien wir auf der Hut vor unseren fundamentalistischen Gruppen; jede Religion hat die ihren.“

Wen meint der Papst mit unseren Fundamentalisten? Vielleicht diejenigen, die friedlich für das ungeborene Leben demonstrieren?, die gewaltlos den Islamismus beschreiben?, die andächtig und gläubig die heiligen Messe aller Zeiten, die Missa Tridentina, mitfeiern?, die mit dem Genderismus nichts anfangen können?, die treu den tradierten katholischen Glauben der Apostel hochhalten?, die mit dem Synodalen Weg der deutschen Bischöfe nichts anfangen können? – Ich weiß es beim besten Willen nicht.

Wird der Papst sich auch einen der berühmtesten Kirchenväter vorknöpfen? Johannes Chrysostomos aus dem 4./5. Jahrhundert, der verhement und aktiv den katholischen Glauben verteidigte? Vielleicht auch den heiligen Remigius des 5./6. Jahrhunderts, der den Merowingerkönig Chlodwig nebst Frau und Gefolge in Reims getauft hat? Vergleiche dazu des Papstes Äußerungen in 2023: „Papst Franziskus warnt: Proselytismus ist nicht missionarische Verkündigung“ Quelle: CNA deutsch, 30. Mai 2023: „Unsere missionarische Verkündigung ist kein Proselytismus.“ – Unterstellte man diesen Ansatz als richtig, dann müssten heute die „Bekehrungen“ vieler Völker und Menschen rück-abgewickelt werden, beginnend mit den ersten Christen der ersten Jahrhunderte. Vgl. Webseite Christenverfolgung heute

Jedenfalls ist zu konstatieren, dass eben dieses zwiespältige Verhalten des Papstes der französischen Zeitschrift FIGARO aufgefallen ist, namentlich einem Ivan Rioufoul, der sich in seinem Artikel mit der Gewalt in Verbindung mit Rassismus und Islamophobie und alten weißen Männern beschäftigte. Er beklagt, dass der Papst nicht den Fundamentalismus des Koran und dessen Proselytismus (negative Bezeichnung für das offensive Abwerben von Gläubigen) verurteilt habe, sondern die Schuld bei den Christen suche. Meine Anmerkung: Wir sollten heute vielmehr über die Christophobie sprechen. Quelle: Die Tagespost vom 5. Dezember 2019. Rubrik Internationale Zeitschriften. Fiktion oder Realität.